Bayern 2 - Das Kalenderblatt


2

28. Mai 1987 Landung auf dem Roten Platz

Mitten im Kalten Krieg macht sich ein junger Mann auf, den Eisernen Vorhang zu durchbrechen. Per Flugzeug und im Alleingang. Moskau zeigt sich erstaunt, als er plötzlich auf dem Roten Platz landet: Mathias Rust, hoppla - da bin ich.

Stand: 28.05.2014 | Archiv

28 Mai

Mittwoch, 28. Mai 2014

Autor(in): Andreas Miekisch

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Je planmäßiger der Mensch vorgehe, umso wirkungsvoller treffe ihn der Zufall, meinte einst der Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt. Wenn es einen historischen Tag gibt, der das bestätigt, ist es wohl der 28. Mai 1987.

Damals flog ein 18-jähriger Hobbypilot ohne Einreiseerlaubnis mit einer kleinen Propellermaschine von Helsinki nach Moskau, landete seelenruhig zwischen Passanten in der Nähe des Roten Platzes und führte so der ganzen Welt die Verwundbarkeit der Sowjetunion vor. Zwar hatten die Machthaber im Kreml eine Luftabwehr aufgebaut, die innerhalb von Sekunden ein Viertel des gesamten Planeten gegen einen Atomangriff der NATO hätte schützen sollen, doch an diesem Tag waren sie nicht einmal in der Lage, einen Jugendlichen aufzuhalten, der allein, ohne Schutz und weithin sichtbar, in 700 Metern Höhe in den angeblich bestbewachten Luftraum der Welt eindrang.

Peinlich, peinlich ...

Wegen dieser Blamage wurden etwa 200 sowjetische Generäle entlassen - das sind mehr als die Sowjetunion im gesamten Zweiten Weltkrieg auf dem Schlachtfeld verloren hat. Gorbatschow nutzte den Vorfall, um mit internen Gegnern seines Reformkurses abzurechnen und entmachtete - auf einen Schlag - über 2000 ranghohe sowjetische Funktionäre, darunter den Verteidigungsminister und den Kommandeur der Luftstreitkräfte.

Unterstellt man, dass diese 2000 den Kurs Gorbatschows später hätten zu Fall bringen können, dann hat Mathias Rust mit seinem Nadelstich durch den "Eisernen Vorhang" durchaus Weltgeschichte geschrieben. Die Folgen seines Flugs waren so weit reichend, dass viele sich noch heute fragen, ob die Aktion ein genialer Sabotageakt westlicher Geheimdienste oder sogar Gorbatschows selbst war. Aber die lange Kette von Zufällen, die diese Aktion ermöglicht hat, wäre kaum planbar gewesen.

Wie das Schicksal so spielt ...

Welcher Militärstratege hätte voraussehen können, dass auf derselben Route, die Rust mit seiner Cessna in Richtung Moskau fliegt, genau am selben Tag ein russisches Transportflugzeug abstürzen würde, was dazu führt, dass Rusts Maschine auf den Radarschirmen für ein Rettungsflugzeug gehalten und deshalb nicht zur Landung gezwungen wird? Nach seiner Ankunft in Moskau trifft Rust auch noch auf einen Polizeichef, der im Flugzeug zwar höchst subversives Material findet, den das aber kaum zu stören scheint. Rust, der sich als Friedensaktivist versteht, hatte für die Reise ein Pamphlet verfasst, in dem er einen Staat ohne Waffen und Militär beschreibt - der genaue Gegenentwurf zum damaligen Rüstungsprogramm der beiden Supermächte. Der Moskauer Polizeichef kommentiert es nur lapidar mit den Worten, auch er sei für Abrüstung und Frieden.

Nach erstaunlich kurzer Haft in Moskau darf der Kremlflieger nach Deutschland zurückkehren. Dort sorgt er aber schon bald erneut für Schlagzeilen: während seines Zivildiensts sticht er mit einem Messer auf eine Krankenschwester ein, seinen Lebensunterhalt bestreitet er jahrelang durch professionelles Glücksspiel und eines Tages wird er auch noch beim Kaufhausdiebstahl erwischt. Bei all dem wirkt er dennoch immer sanftmütig und eloquent.

Als Rust in jüngster Zeit verlauten lässt, er habe nun ausgesorgt, erscheint das wohl nicht nur den 2000 geschassten Kremlfunktionären wie das späte Eingeständnis, dass der Flug damals doch eine Verschwörung war, für die die damaligen Auftraggeber dem Baron der Lüfte jetzt so etwas wie eine Lebensrente zugestehen. Der Kremlflieger versucht die Bedenken auf seine Art zu zerstreuen:  nein, sagt er, er sei neuerdings Finanzberater in Asien.


2