Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. September 1547 Cervantes geboren

Miguel de Cervantes, geboren am 27. September 1547, überlebte grausame Schlachten und brutale Gefangenschaft. Seinen Roman schrieb er aber nicht über sein Leben, sondern über den menschlichen Helden "Don Quijote".

Stand: 27.09.2012 | Archiv

27 September

Donnerstag, 27. September 2012

Autor(in): Susanne Tölke

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz

Mitten in einer Zeit, in der man die Krüppel verlachte wegen ihrer Gebrechen, in der man Delinquenten auf den Marktplätzen verbrannte zur Schaulust des Pöbels, in der man Ketzer mit dem glühenden Eisen zur Aussage brachte, mitten in einer Zeit der Grausamkeit erschien in Madrid das große Buch der Menschlichkeit: "Die Abenteuer des sinnreichen Junkers Don Quijote de la Mancha". Natürlich belachten die Leser vor allem die derben Scherze, denen Don Quijote und sein Knappe auf ihren Fahrten ausgesetzt waren, zum Beispiel jener, bei dem ein Dutzend Handwerker den dicken Sancho auf eine Bettdecke werfen und diese dann auf und ab schnellen, wie man es sonst zur Fastnacht mit den Hunden tut! Und wie Don Quijote und Sancho Pansa einen angeblichen Heiltrunk angedreht bekommen und sich dann winden vor Bauchschmerzen und ihren Mageninhalt einander ins Gesicht speien - na, ist das komisch!

Mechanismus der Selbsttäuschung

Es gab sogleich nach Erscheinen des Buches Don Quijote-Masken auf dem Markt zu kaufen, mit denen sich wiederum allerhand Unsinn treiben ließ. Ein köstlicher Spaß, wie der törichte Ritter immer wieder auf die Nase fiel und feste verdroschen wurde, und sein Pferd und sein Schildknappe auch!

Es dauerte ziemlich lange, bis der Roman den Geruch einer derben Satire loswurde. Es waren die Schriftstellerkollegen, denen die Augen aufgingen. Henry Fielding, dann Gogol, Dostojewski, Flaubert - sie erkannten, dass in Don Quijotes Wappen nicht die Torheit, sondern das Erbarmen und die Güte steht. Und nicht nur das: Don Quijote ist der erste moderne Roman, ein Roman über Wirklichkeit und Wahrnehmung. Seine Botschaft lautet: Jeder von uns ist ein Don Quijote, der sich die Wirklichkeit selbst konstruiert. Zugleich - und das macht die Qualität des Buches aus - legt Cervantes den Mechanismus der Selbsttäuschung offen.

Wer war der Mann, der solch ein subtiles Meisterwerk verfasste? Wir stellen ihn uns unwillkürlich als einen Schöngeist vor, als Gelehrten, als Intellektuellen.

In Wirklichkeit aber war Cervantes, der am 27. September 1547 in Alcalá nahe Madrid zur Welt kam, genau jener tollkühne und tapfere Ritter, der Don Quijote gern gewesen wäre. In der Seeschlacht von Lepanto, Türken gegen Spanier, erhält der 24-Jährige zwei Büchsenschüsse in die Brust, der dritte zermalmt die linke Hand. Vier Monate liegt er im Lazarett von Messina, bis die Wunden ganz ausgeheilt sind. Anstatt als Invalide nach Spanien zurückzukehren, nimmt er noch an drei Schlachten teil, bis er - mittlerweile 28 Jahre alt - mit einem Empfehlungsschreiben des obersten Feldherren Don Juan d´Austria von Neapel aus sich nach Spanien einschifft. Seeräuber kapern die Galeere und verkaufen Cervantes nach Algier. Er wird in Ketten gelegt, man erwartet - aufgrund seines Empfehlungsschreibens - ein Lösegeld von der Familie.

Zweihundert Stockhiebe

Fünf Jahre muss er warten, dreimal versucht er zu fliehen. Beim ersten Mal gibt es Peitschenhiebe, beim zweiten Mal droht die Hinrichtung. Sein Helfer, ein Gefängnisaufseher, wird an einem Fuß aufgehängt, bis er stirbt. Cervantes selbst wird verschont, man munkelt, eine maurische Prinzessin habe sich für ihn eingesetzt. Er wagt es noch ein drittes Mal, diesmal werden seine Helfer gepfählt. Er selbst wird mit 200 Stockhieben bestraft. Alle Spanier, die die Gefangenschaft von Algier überlebten, berichten später darüber, dass sein Mut und seine Zuversicht sie aufrechterhalten habe.

Als er endlich freigelassen wird, weil seine Familie das Lösegeld zusammengekratzt hat, muss er feststellen, dass ihm sein Empfehlungsschreiben in Spanien gar nichts nützt. Wer will schon einen Invaliden einstellen, der noch nicht einmal Offizier gewesen ist, sondern nur einfacher Soldat? Da setzt er sich hin und schreibt den "Don Quijote", jenes unvergleichliche Meisterwerk über den Verteidiger der Schönheit, des Edelmuts, der Reinheit und der Ritterlichkeit.

Selbst Goethe, der mit Lob und Anerkennung für Dichterkollegen recht sparsam war, hatte ihn in seinem Ministerschreibtisch liegen: "Cervantes hält mich über den Akten wie ein Korkwams den Schwimmer."


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