Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. April 1908 Beginn der Olympischen Spiele in London

Sie gaben alles, die Athleten die zu den vierten Olympischen Spiele der Neuzeit in London angetreten waren - mit der Bibel in der Hand, mit der Hilfe von Freunden oder in genagelten Schuhen. Am 27. April 1908 wurden die Spiele eröffnet.

Stand: 27.04.2012 | Archiv

27 April

Freitag, 27. April 2012

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz

Gut, dass Italien den Vesuv hat. Wäre der Vulkan nicht im April 1906 ausgebrochen, dann hätten zwei Jahre später die Spiele der vierten Olympiade der Neuzeit in Rom stattgefunden. Oder auch nicht - das völlig untätige Organisationskomitee hatte sich nämlich schon einige Monate vorher aufgelöst.

Keine Luftschiff-Wettkämpfe

In einer solchen Situation hilft nur ein echter Gentleman. Der Ruderer, Fechter und Alpinist William Grenfell, soeben zum Lord Desborough gekürt, ging die Sache sportlich an. Yes, we can, telegrafierte er sinngemäß an den Olympia-Vater Pierre de Coubertin, und kurzerhand bekam London die Spiele 1908 zugeschlagen.

Die Organisatoren standen damals wie heute vor der Frage: Welche Sportarten sind der Spiele würdig? Schlichtes Reiten: nein danke, aber Polo darf sein, entschieden sie - und befanden auch, dass Motorbootrennen selbstverständlich Sport sind, Luftschiff-Wettkämpfe dagegen nicht. Trotz aller Mühe krankten einige Wettbewerbe daran, dass angemeldete Mannschaften einfach nicht auftauchten. Denn dabei sein war damals noch nicht alles. Die Sportler waren zu jener Zeit wirklich Amateure und hatten Besseres zu tun, als zum Beispiel eine Schiffsreise von Australien nach London anzutreten, nur um dort ein paar Mal auf eine Scheibe zu schießen.

Einen Rekord stellten die Engländer gleich beim Bau des Stadions auf. In nur neun Monaten war es fertig und vereinte die Radrennbahn, Leichtathletik-Anlagen und in der Mitte ein Schwimmbecken mit versenkbarem Sprungturm. Das Wasser war zwar unbeheizt, aber immerhin sauberer als die Seine, in der die Olympia-Schwimmer acht Jahre zuvor kraulen mussten. Als der Prince of Wales das White City Stadium Mitte Mai eröffnete, waren die Spiele bereits zwei Wochen alt. Am 27. April 1908 hatten sie im Londoner Queen‘s Club ganz ohne Zeremoniell mit einem Racquet-Spiel begonnen, dem Vorläufer des heutigen Squash.

Mit der Bibel in der Hand

Das Turnier nahm erst Mitte Juli mit den Leichtathletik-Wettbewerben so richtig Fahrt auf. Vier Weltrekorde erlebten die 66.000 Zuschauer. Darunter den des 110-Meter-Hürdenläufers Forrest Smithson aus den USA. Dem half wohl die Bibel, die er auch während des Laufs nicht aus der Hand legte. Apropos Meter: Die waren den meisten Sportlern im Land der Yards, Fuß und Zoll unbekannt. Beim 1.500-Meter-Lauf scheiterten die britischen Athleten kläglich. Die Strecke war einfach zu kurz für die an eine Meile gewohnten Läufer.

Aber auch Sportler vom Kontinent hatten ihre Probleme. Der italienische Marathonläufer Dorando Pietri erreichte nach zwei Stunden und 50 Minuten als erster das Stadion und bog unter begeistertem Applaus in die Schlussrunde ein. Leider nach rechts - dabei war Linksverkehr vorgesehen. Vor Schreck über seinen Fehler brach er völlig entkräftet zusammen. Dass ihm seine Betreuer wieder auf die Beine und sogar über die Ziellinie halfen, kostete den Armen den Sieg. Pietri wurde disqualifiziert. Eine englische Mannschaft im Tauziehen hatte mehr Glück - obwohl die Herren von der London City Police ihre Schuhsohlen mit Nägeln beschlagen hatten, was nach dem Reglement ausdrücklich verboten war. Die ausschließlich britischen Kampfrichter befanden aber: Die Bobbys seien in Dienstkleidung, und zu der gehörten auf den schlammigen Londoner Straßen nun mal Spikes. Das Angebot, den Wettkampf in Socken zu wiederholen, lehnten die Gegner aus den USA dankend ab.


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