Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. Januar 1936 Niagarafälle zugefroren

Immer wieder reizen die Niagarafälle den kleinen Menschen dazu, sich an ihrer Gewalt und Größe zu messen. Am 26. Januar 1936 machte das Wunder allerdings selbst mal Pause - und fror völlig zu.

Stand: 26.01.2012 | Archiv

26 Januar

Donnerstag, 26. Januar 2012

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz

Was tun, wenn man 63. Geburtstag und keinen Bock mehr auf seinen Lehrerberuf hat und dazu noch pleite ist? Man stürzt sich in einer Tonne die Niagarafälle hinunter! So machte das Annie Taylor anno 1901. Geboren als höhere Tochter, wurde sie früh Witwe, verdiente wenig und gab viel aus, bis sie eine fast mittellose Matrone war. Ein Leben zum in die Tonne kloppen! dachte sich Annie, ließ sich von ihren letzten Dollars eine Spezialtonne bauen, suchte sich einen Manager, informierte alle Zeitungen, stieg an ihrem Jubeltag in die Tonne und stürzte sich die Niagarafälle hinunter. Ihr Plan: durch diese Tat ein reicher Star zu werden!

Blick in die eigenen Abgründe

Zwar hatte das mit der Tonne vor ihr noch keiner gewagt, doch sie war nicht die Erste, die mit einer halsbrecherischen Aktion die Niagarafälle bezwingen wollte. Denn die Fälle, welche in der Sprache der Irokesenindianer "Niagara", "donnerndes Wasser", heißen, haben seit jeher die Menschen fasziniert - und provoziert. Genauer gesagt sind es zwei Wasserfälle. Annie wählte für ihr Vorhaben den wegen seiner Form Hufeisenfall genannten Wasserfall auf kanadischer Seite, der noch spektakulärer ist, als der etwas kleinere auf US-amerikanischer Seite.

Mit 170 Millionen Litern Wasser pro Minute stürzen die Hufeisenfälle 54 Meter tief in den Abgrund, und eröffnen dem Menschen dabei einen Blick in seine eigenen Abgründe. Wie bei Marilyn Monroe im Film "Niagara". Darin plant die Leinwandikone, gemeinsam mit ihrem Geliebten, ihren Ehemann in den Niagarafällen zu entsorgen…

Marilyn und die Niagarafälle - zwei Wunder der Natur! Doch im Film "Niagara" wirken beide merkwürdig unnatürlich. Die sinnliche Monroe marzipanig künstlich, mit zu viel Make-up zugespachtelt und die riesigen Niagarafälle eingebettet in eine gut strukturierte Betonlandschaft, umzingelt von kleinen Menschen in gelben Regenmäntelchen.

Alles im Griff?

Die kleinen Menschen haben die Fälle längst im Griff. Bereits seit dem 18. Jahrhundert nutzen sie die Wasserkraft der Niagarafälle zur Energiegewinnung. Inzwischen können die Fälle praktisch per Knopfdruck ein- und ausgeschaltet und nachts zur Freude der Touristen in Regenbogenfarben beleuchtet werden. Seit der  Bruder von Napoleon 1804 an den Fällen seine Flitterwochen verbrachte, boomt der Tourismus, und auf den Bühnen der Amüsiermeilen rund um kann man gebrechliche Countryrocker und nicht mehr ganz taufrische Disney-Prinzessinnen bewundern.

Doch obwohl die Niagarafälle schon seit langem vom Menschen gezähmt wurden, sich an- und abschalten und beleuchten lassen, gehen sie doch manchmal in den Streik. Wie am 26. Januar 1936. Eine enorme Kältewelle brach über Nordamerika herein und der US-amerikanische Niagarafall fror komplett zu. Normalerweise bildet sich nur eine Eisschicht, unter der noch Wasser fließt. Aber diesmal ging nichts mehr, weder Wasserkraft, noch Touristenspektakel, noch Tonnen-Abenteuer. Ganze 15 Tage lang. Was die kleinen Menschen dann gleich animierte, auf dem gefrorenen Wasserfall spazieren zu gehen.

Annie Taylor überlebte übrigens in ihrer Tonne und ließ ausrichten, dass sie dieses Abenteuer nicht weiterempfehlen könne. Bis heute stürzen sich jedoch immer wieder Mutige auf die unterschiedlichste Weise die Fälle hinab. Großen Ruhm erntete dadurch keiner von ihnen. Neben den gewaltigen Niagarafällen bleiben auch diese tollkühnen Helden das, was sie sind: kleine Menschen.


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