Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. August 1807 Pockenimpfung wird Pflicht in Bayern

Heute muss niemand mehr an den Pocken sterben dank einer Kuh, einer Magd, dem Arzt Edward Jenner und dem kleinen James Phipps, der für einen Impfversuch herhalten musste. Aber auch dank des neuen staatlichen Impfzwangs. Am 26. August 1807 machte Bayern weltweit den Anfang.

Stand: 26.08.2011 | Archiv

26 August

Freitag, 26. August 2011

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Nur wenig hätte gefehlt, und Mozart und Goethe hätten den Griffel nie führen können, um ihre Werke zu schreiben. Sie hatten als Kinder die Pocken und überlebten nur knapp. Die Seuche wütete im 18. Jahrhundert besonders grausam. Rund 400.000 Menschen jährlich fielen ihr allein in Europa zum Opfer. Die Erkrankten bekamen Fieber bis zum Delirium, Ausschlag machte sich breit in Mund und Rachen, befiel die Netzhaut der Augen. Stinkende Eiterpusteln bedeckten die Haut und entstellten das Gesicht zur Ekel erregenden Maske. Wer überlebte, war häufig blind und von Narben gezeichnet, aber wenigstens immun. Deswegen waren vor allem Kinder gefährdet; fast jedes Kind im 18. Jahrhundert musste die Pocken  durchmachen, etwa jedes zehnte starb daran.

Es gab Versuche, sie zu schützen. Ärzte ritzten ihnen Pockenviren aus einer leichten Epidemie unter die Haut und hofften auf einen milden Krankheitsverlauf. Doch das war riskant, die Infektion konnte schwere Formen annehmen oder sogar Epidemien auslösen.

Dass im Mai 1796 in England endlich ein wirksamer Impfstoff entdeckt wurde, verdanken wir einer Kuh namens Blossom, also Blüte. Die hatte die Kuhpocken und Pusteln am Euter. Die Kuhmagd Sarah Nelmes infizierte sich beim Melken und ging zum Arzt. Keine große Sache; Kuhpocken sind harmlos und kamen in Melkerkreisen häufig vor. Dass sie gegen die richtigen Pocken immunisierten, war unter der Landbevölkerung gut bekannt, auch Impfversuche hatte es bereits gegeben. Nur hatte man das Ganze noch nicht systematisch untersucht.

Der Arzt Edward Jenner beschloss, genau das zu tun und das Risiko eines Menschenversuchs auf sich zu nehmen. Er öffnete eine Pustel an Sarahs Hand und ritzte das Sekret dem kleinen James Phipps unter die Haut, dem Sohn seines Gärtners. Der erkrankte leicht und wurde nach seiner Genesung mit echten Pockenviren infiziert. Jenner hatte schlaflose Nächte, aber der Junge blieb gesund. Jahre später, als er eine Familie gründete, schenkte Jenner ihm ein Haus. Und die Hörner von Blossom der Kuh befinden sich heute im Edward Jenner Museum in Jenners Heimatstadt Berkeley.

Jenner publizierte seine Ergebnisse in Fachzeitschriften und löste europaweit eine große Nachfrage nach dem Impfstoff aus. Die moderne Präventivmedizin war geboren und mit ihr auch die Widerstände gegen sie. Impfschäden sind nicht auszuschließen, damals wie heute: Jenners eigener kleiner Sohn trug eine irreversible Gehirnschädigung davon, nachdem sein Vater ihn geimpft hatte. Viele Menschen hatten Angst vor den Risiken und Angst davor, dem göttlichen Willen das Werkzeug aus der Hand zu schlagen. Und als der Staat das Impfen vorzuschreiben begann, sträubten sich viele gegen diesen Eingriff in die Privatsphäre, genauso wie später bei der Gurtpflicht oder beim Rauchverbot in Gaststätten.

Bayern setzte sich als weltweit erstes Land über alle Einwände hinweg und beschloss am 26. August 1807 den gesetzlichen Impfzwang. Andere deutsche Flächenstaaten zogen nach. Es dauerte aber bis 1980, bis die Weltgesundheitsorganisation den Sieg über die Seuche verkünden konnte. Seit 1983 ist die Pflichtimpfung in Deutschland abgeschafft, und Pockenviren lagern nur noch zu Forschungszwecken in russischen und amerikanischen Hochsicherheitslabors. Ihre endgültige Vernichtung steht immer wieder zur Diskussion: Schließlich könnten sie die Menschheit erneut bedrohen, wenn sie durch einen Unfall oder einen bioterroristischen Anschlag freigesetzt würden. 


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