Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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23. Dezember 800 Papst Leo III. leistet einen Reinigungseid

War er nun meineidig und ein Ehebrecher, oder doch nicht? Auf jeden Fall schwor Papst Leo III. in dieser Sache am 23. Dezember 800 einen Reinigungseid. Kein Problem, schon längst ging es in Wahrheit um viel Wichtigeres.

Stand: 23.12.2011 | Archiv

23 Dezember

Freitag, 23. Dezember 2011

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz

Über die verplombten Gullydeckel regen sie sich am meisten auf, die Kirchenkritiker, wenn irgendwo wieder ein Papstbesuch ansteht. Und über die abgesperrten Straßen. Und die Scharfschützen auf den Dächern. Von den 25 bis 30 Millionen Euro, die so eine Papstvisite kostet, geht ein Großteil für Sicherheitsmaßnahmen drauf. Muss aber wohl sein. Johannes Paul II. geriet während seiner langen Regierungszeit mindestens neunmal in das Visier von Attentätern, die mit Molotow-Cocktails, Bomben, Raketen, Anti-Panzer-Minen ausgerüstet waren. 1970 entging Paul VI. auf dem Flughafen von Manila knapp der Messerattacke eines geistesgestörten Malers. Während der Englandreise von Papst Benedikt im September 2010 nahm Scotland Yard sechs Männer einer Reinigungsfirma fest, algerische Muslime, die einen Anschlag geplant haben sollen.

"Halbtot, sich im Blute wälzend"

Und erst im frühen Mittelalter, als die Dolche locker saßen und politische Morde an der Tagesordnung waren! Im Frühjahr 799 nahm Papst Leo III. an einer Bittprozession in Rom teil. In der Nähe des Klosters San Silvestro stürzte sich plötzlich ein Haufe Bewaffneter auf die Pilgernden, unter ihnen zwei hohe Verwaltungsbeamte des Papstes, Paschalis und Campulus, die auch noch mit seinem Vorgänger Hadrian verwandt waren. Doch diese "perversen und falschen Christen", wie sie die zeitgenössische Vatikanchronik nennt, rissen den Heiligen Vater vom Pferd, säbelten an seinen Augen herum, um ihn zu blenden, schnitten ihm die Zunge heraus und schleppten ihn in die Klosterkirche. "Sie zerfleischten ihn mit Stockschlägen", berichtet der "Liber Pontificalis" weiter, "und ließen ihn halbtot, sich im Blute wälzend, vor dem Altar zurück."

Nun kann das Attentat nicht ganz so entsetzlich verlaufen sein, denn bald nahm der Papst seine Amtsgeschäfte wieder auf und predigte, als ob nichts gewesen wäre. Ein Wunder, staunt der Liber Pontificalis. Interessant erscheinen die Hintergründe der Bluttat:

Leo stammte nicht aus dem römischen Stadtadel, sondern hatte sich mit Fleiß und Geschick in der Hierarchie hochgearbeitet; so etwas schafft automatisch Feinde und Neider. Die warfen ihm unter anderem Ehebruch und Meineid vor. Noch interessanter sind die politischen Folgen des Anschlags: Der Frankenkönig Karl gewährte dem Attentatsopfer großzügig Asyl in Paderborn und nutzte den schlechten Ruf seines Schützlings, um das notorisch schwache Papsttum noch stärker in Abhängigkeit zu bringen.

Kleine, feine Rache

Ein Jahr nach dem Attentat demütigte Karl den Papst, indem er ein Konzil einberief und die - offenbar keineswegs an den Haaren herbeigezogenen - Vorwürfe gegen Leo öffentlich erörtern ließ. Die Attentäter wurden zwar ins Exil geschickt, aber Papst Leo musste am 23. Dezember 800 einen sogenannten Reinigungseid leisten. Das war ein Überbleibsel aus dem archaischen germanischen Recht, meist garniert durch die Unterstützung mächtiger „Eideshelfer“ oder durch ein Gottesurteil. Eine fragwürdige Prozedur, dieser Reinigungseid. Später wurde er durch objektive Beweise oder ein bisschen Folter ersetzt.

So jedenfalls rehabilitiert, durfte Papst Leo am darauffolgenden Weihnachtsfest seinen Schutzpatron Karl zum Kaiser krönen. Er rächte sich, indem er nicht zuließ, dass Karl sich die Krone selbst aufs Haupt setzte, wie das in Byzanz üblich war; flugs griff er zu und rief Karl zum „serenissimus Augustus a Deo coronatus“ aus, zum durchlauchtigsten, von Gott gekrönten Kaiser. Auf Deutsch: Herrscher von des Papstes Gnaden. Das ganze Mittelalter hindurch sorgte Leos kleiner, feiner Racheakt für folgenschwere Konflikte.


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