Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. November 1969 Erstes Gen eines Bakteriums isoliert

Jon Beckwith gelang als erstem Mikrobiologen, ein einzelnes Gen bei einem Bakterium zu isolieren.. Ein Triumph mit Risiken, wie Beckwith selbst fand. Autor: Hellmuth Nordwig

Stand: 22.11.2016 | Archiv

22 November

Dienstag, 22. November 2016

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Eigentlich hätte es eine glatte Karriere werden können. Nobelpreis inklusive. Schnelles Studium, Bestnote in der Doktorprüfung, Stipendien für Princeton, London, Cambridge. Alles Elitehochschulen, wie man heute sagen würde, Traumziele für angehende Wissenschaftler. Und dann das berühmte Institut Pasteur in Paris.

Schleierhafte Wörter

Ach, Paris… Die Stadt hat in den 60er Jahren wahrlich mehr zu bieten als Forschung. Künstlercafés, Jazz, linke Intellektuelle, Frauen mit gewagten Miniröcken. Und eine Jugend, die plötzlich alles in Frage stellt, was bis dahin selbstverständlich war. Zum Beispiel, dass die Wissenschaft ein Segen für die Menschheit ist. Da kann auch ein junger Biologe aus den USA ins Grübeln kommen.

Zurück in seinem Heimatland, gelingt Jonathan, kurz "Jon" Beckwith ein Durchbruch, auf den die Fachwelt gewartet hat. Die weiß damals zwar längst, dass die Erbinformation in der DNA in jedem Zellkern steckt. Auch lesen können die Forscher in diesem Text des Lebens schon, aber sie verstehen nur Bahnhof. Wo die Wörter anfangen und aufhören - das ist ihnen schleierhaft. Bis es Jon Beckwith als Erster schafft, ein sinnvolles Wort, ein Gen, auszuschneiden - aus dem Erbgut des Kolibakteriums, dem Haustier der Mikrobiologen. In der Zeitschrift "Nature" vom 22. November 1969 berichtet er seinen Fachkollegen auf sechs Seiten über die Entdeckung, die als Meilenstein in die Geschichte der Genetik eingehen wird.

Denn plötzlich scheint alles möglich: Hier ein Gen heraustrennen, da wieder einbauen. "Copy & Paste" im Buch des Lebens, die Manipulation des Erbguts ganz nach Belieben. Eine riesige Spielwiese für die Forschung tut sich auf - abgegrast ist sie bis heute nicht.

Gene für Gewalt und Alkoholismus

Und was sagt der Wissenschaftler selbst zu seinem genialen Wurf? Paris lässt grüßen: Dem Reporter der New York Times diktiert Jon Beckwith in den Notizblock, er halte sein Ergebnis für "Furcht einflößend". Und das sieht nicht nur er so. Einer der Entdecker der DNA, James Watson, fordert sogar ein Moratorium in der Genforschung. Durchsetzen können sich die beiden bei ihren Fachkollegen nicht. Doch der Heimkehrer setzt ein unmissverständliches Zeichen: Als er eine angesehene Auszeichnung für seine Forschung erhält, spendet er das Preisgeld den Black Panthers. Einer radikalen Bewegung von Afroamerikanern, die auch mit Waffen für ihre Rechte kämpfen.

Jon Beckwith bleibt an zwei Fronten aktiv: in der Politik und in der Mikrobiologie. An seiner Universität beteiligt er sich am Studentenstreik gegen den Vietnamkrieg und tritt der linken Gruppe "Science for the people" bei. Und seine Fachkollegen mahnt er, nicht alles durch die Brille der Genetik zu sehen. Denn die Bakteriengene sind erst der Anfang. Schon bald wollen Forscher bei Menschen Gene für Gewalt und für Alkoholismus gefunden haben. Beckwith hält das für unseriös. Er ist überzeugt davon, dass die Gesellschaft für solche Missstände verantwortlich ist. In seinen Seminaren schärft er den Blick der Studenten für die Interessen, die hinter den einfachen Behauptungen manch eines Fachkollegen stecken.

Den Nobelpreis hat der Entdecker des ersten Bakteriengens übrigens bis heute nicht bekommen. Vielleicht befürchtet das Auswahlkomitee, dass er auch dieses Geld spenden würde.


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