Bayern 2 - Das Kalenderblatt


5

22. Juli 1994 Shoemaker-Levy 9 schlägt auf Jupiter ein

Zuerst zerbrach er ihn in 21 Teile, und dann ließ Jupiter den Kometen Shoemaker-Levy 9 zwischen dem 16. und dem 22. Juli 1994 Stück für Stück in seiner Atmosphäre verschwinden. Dieser Kometeneinschlag in einen Planeten war zum ersten Mal fast live im Internet zu sehen.

Stand: 22.07.2011 | Archiv

22 Juli

Freitag, 22. Juli 2011

Autor(in): Florian Hildebrand

Sprecher(in): Florian Hildebrand

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Es ist ein einzig Behagen, wenn fern in der Türkei die Völker aufeinander schlagen. Mephistos berühmter Spruch, ein wenig umformuliert. Als ob Goethe uns fernsehendes Fußvolk bereits im Blick gehabt hätte. Mit dem Genuss folgenloser Betroffenheit schauen wir lieber dem Unglück anderer zu, als dass wir es im eigenen Haus haben. Alle Nachrichtensendungen, Krimis und Katastrophenfilme profitieren davon. Die Armageddons dürfen auch mal größeres Ausmaß haben, wenn sie nur weit genug weg sind.

Zum Beispiel jener berühmte Kometeneinschlag auf dem Jupiter am 22. Juli 1994. Ein kosmisches Spektakel der Sonderklasse. Erst im Jahr zuvor hatten drei amerikanische Laienastronomen den Schweifstern auf einem Photo entdeckt: das Ehepaar Shoemaker und David Levy. Sie identifizierten ihn nahe des Planeten Jupiter. Shoemaker-Levy 9, so wurde er getauft, war da bereits reichlich lädiert. Jupiter hatte mit seiner Schwerkraft dermaßen an ihm gerüttelt, dass der einst kilometergroße Komet auseinander gebrochen war.

Nun eierten 21 Einzelteile, wie an einer Schnur aufgereiht, auf mehreren Millionen Kilometer hintereinander in einer reichlich exzentrischen Ellipse um den riesigen Gasplaneten. Die Shoemakers und Levy waren als Kometenjäger erfahren genug, in den Bruchstücken den früheren Schweifstern zu erkennen. Jupiter zog Shoemaker-Levy 9 zudem immer näher an sich. Da musste man nicht lange rechnen: Bald würde die kosmische Kette auf den Planeten einprasseln.

So schossen die Bruchstücke ab Mitte Juli 1994 eins nach dem anderen in Jupiters Atmosphäre, das letzte am 22. Juli.
Mit über 200.000 Stundenkilometern. Derweil drehte sich der  Planet unter den Einschlägen scheinbar ungerührt weiter.
 
Ein Vorteil für die Erdlinge am Teleskop, die mit offenen Mündern das extraordinäre Schauspiel verfolgten. Gewandt präsentierte Jupiter ihnen die Schmauchspuren bereits einige Minuten nach den einzelnen Kollisionen. Die Einzelteile von Shoemaker-Levy 9 hatten sich zuvor in die erdabgewandte Seite des Jupiter gebohrt.

Was all die Fernrohre und Weltraumteleskope einfingen, waren Bilder von riesigen feurigen Gasblasen, die 300 Kilometer hoch aus der Atmosphäre herausschossen. Noch stundenlang nach den Kollisionen glühte der Gasball. Sogar Jupitermond Io reflektierte das kosmische Lichtspiel. Hier waren Energien entfesselt worden, so viel wie mehrere hunderttausend Megatonnen herkömmlicher Sprengstoff, wie ein martialischer Physiker errechnete.

Rein kosmisch war Shoemaker-Levys Todessturz alles andere als sensationell. Astrologen sehen im Planeten Jupiter den großen Beschützer. Astronomen ebenso. Immer wieder geraten Meteore, Kleinplaneten, Asteroiden, Kometen aus der Tiefe des Raumes ins Sonnensystem. Dort würden sie von Fall zu Fall von der Anziehungskraft eines Planeten eingefangen. Hätte sich Shoemaker-Levy z.B. auf die Erde eingeschossen, wäre sie jetzt wüst und leer. An Leben nicht mehr zu denken.

Aber da ist eben Jupiter. Der reißt viele solcher kosmischen Bomben aus ihrer irrlichternden Bahn und zieht sie mit seiner immensen Schwerkraft an sich. Viele halten sich in einer Umlaufbahn, und manche wie Shoemaker-Levy 9 stürzen sich in ihm zu Tode.

So konnten Mitte Juli 1994 die Erdlinge bequem und aus sicherer Entfernung mit angenehmem Schauer verfolgen, wie fern auf dem Jupiter die Kometen aufeinander schlagen.
Und sich wieder mal vergegenwärtigen, wie vernichtend dieses Universum im Grunde ist, eiskalt und tödlich heiß und von unsagbarer Gewalt. Leben ist weltallweit ein Stück kosmischer Anarchie, eine Widersetzlichkeit, die das unergründbare Universum gelegentlich souverän, aber auf eigene Gefahr zulässt. "Ihr Menschen seid eine Ausnahme", sagt Shoemaker-Levy 9,  "wäre der Kosmos konsequent, gäbe es euch nicht."


5