Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Juli 1990 Sempre Roma - Deutschland wird Fußballweltmeister

Die Medien feiern den WM-Titel 1990 als den der Wiedervereinigung, die Spuckattacke gegen Völler stürzt die Fußballwelt in Fassungslosigkeit, die Bilder des einsamen Beckenbauer auf dem Rasen von Rom nach dem Finale geben Rätsel auf - und Matthäus hadert. Ihn drückte der Schuh. Autorin: Susi Weichselbaumer

Stand: 08.07.2022 | Archiv

08 Juli

Freitag, 08. Juli 2022

Autor(in): Susi Weichselbaumer

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Na, wo drückt denn der Schuh? Auch so ein Spruch, auf den meistens keine echte Antwort erwartet wird. Genau wie bei: Wie läuft's? Was geht? Dabei läuft und geht mit drückendem Schuh echt gar nichts. Bestes Beispiel: Die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien. Die Vorfinalrunden sind ein Traum. Noch kein Sommermärchen, das kommt Jahrzehnte später, aber so, dass man in Deutschland feiert: Wo wir sind, ist vorn! Und vorn meint am Ende: Rom.  

Sempre Roma

Auf dem Weg dahin hält uns nichts auf. Im Achtelfinale gegen die Niederlande wird Rudi Völler von Frank Rijkaard bespuckt. Direkt in die vollen blonden Völler-Locken. Einfach so. Oder eben, weil die Partie eh reichlich geladen ist. Völler wird sauer. Rijkaard spuckt nochmal. Völler wird noch sauerer. Der Unparteiische zieht die Rote Karte. Gegen beide. 22 Millionen Menschen vor den deutschen Fernsehern sind genauso fassungslos wie Völler. Der trabt schließlich vom Platz. Deutschland gewinnt trotzdem.

Finale!!

Dieser Trotz - anders als beim Sommermärchen später, bei der WM im eigenen Land 2006 werden es vor allem Liebe und Public Viewing und Miteinander sein, was uns stark macht - dieser Trotz bei der WM in Italien treibt Mannschaft und Fanschaft zu Höchstleistungen. Das beginnt schon beim Song. Zum ersten Mal in der FIFA-Geschichte gibt es einen offiziellen Titel zum Turnier. Rockröhre Gianna Nannini nimmt mit Rock-Kollegen Edoardo Bennato "Un'estate italiana" auf. Der Dance-Music-König Giorgio Moroder hat die Hymne komponiert. Die Welt liebt sie.

Deutschland hält dagegen mit einem WM-Album. Udo Jürgens singt mit der Mannschaft. "Sempre Roma" zum Beispiel oder "Träner lügen nicht". Gekauft wird der Tonträger kaum, trotzdem: Wir haben was Eigenes.

Und ebenso eigen geht es weiter bis zum Finale am 8. Juli 1990 in Rom gegen Argentinien. Die WM-Endspiel-Paarung gab es vier Jahre vorher schon. Dass Deutschland diesmal erfolgreicher sein wird, glauben viele gern. Nicht zuletzt, weil Deutschland jetzt anders aufgestellt ist, jubeln die Medien. Zumindest politisch. Die DDR steht kurz vor dem Zusammenbruch, Zeitungen und Zeitschriften schreiben von der WM der Wiedervereinigung. Noch ist der Kader komplett westdeutsch besetzt. Aber West und Ost fiebern bereits gemeinsam mit.

Etwa mit Andi Brehme. Der soll plötzlich den Elfer gegen Argentinien treten. Beim Spielstand 0:0. Eigentlich wäre das der Job von Kapitän Lothar Matthäus. Aber den drückt der Schuh. In der Halbzeitpause hat er festgestellt, sein rechter Schuh ist hinüber. Der Zeugwart verpasst ihm ein Paar andere. Die sind eine halbe Nummer zu groß. Lieber nicht schießen, denkt Matthäus und lässt Brehme vor. Der verwandelt. Deutschland ist Weltmeister. Udo Jürgens singt daheim "Sempre Roma", überall sonst röhrt Gianna Nannini "Un'estate italiana".

Nach der Siegerehrung spaziert Trainer Beckenbauer einsam sinnend über den Rasen in Rom. Mit der Goldmedaille um den Hals. Die Fernsehkameras übertragen das Bild in sämtliche Länder. Was Beckenbauer dabei denkt, wird man nie erfahren. Vielleicht drückt irgendwo der Schuh. 


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