Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. April 1943 Selbstversuch Dr. Albert Hofmanns mit LSD

Es begann mit einem echten Horrortrip. Am 19. April 1943 startete der Chemiker Albert Hofmann einen Selbstversuch mit einer Substanz, die er aus Mutterkorn gewonnen hatte. Es war der Geburtstag von LSD.

Stand: 19.04.2011 | Archiv

19 April

Dienstag, 19. April 2011

Autor: Fritz Dumanski

Sprecher: Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Die Schweiz hat der Menschheit das Schweizermesser geschenkt, den Schweizer Käse und das Schweizer Bankgeheimnis - lauter Gaben, die von beispielhafter Nüchternheit zeugen und von einer Bodenständigkeit, die zu Recht den bitteren Neid der restlichen Welt hervorruft. Freilich: Eine Menschheitsgabe wird bei dergleichen Aufzählungen grundsätzlich unterschlagen: Sie führte zu mancherlei Verstörung, zielte auf alles andere als Nüchternheit und hat den klingenden Namen Lysergsäure-di’äthyl’amid. Sagen wir es weniger klingend: LSD. Dass diese Droge ausgerechnet in der Schweiz gebraut wurde, muss ein Zufall, nein: ein Unfall gewesen sein! Und so war es.

1943 experimentiert ein gewisser Dr. Albert Hofmann in den Labors der Basler Chemiefirma Sandoz mit Substanzen, die er aus dem Mutterkorn gewonnen hat. Mutterkorn ist ein Pilz, der vor allem in Getreideähren wächst. Schon vor Jahrhunderten ist dieses Mutterkorn in der Heilkunde eingesetzt worden, und Hofmann hofft, Medikamente daraus entwickeln zu können. Im April 1943, im Labor, wird ihm überraschend unwohl. Zu Hause legt er sich hin; bei geschlossenen Augen sieht er, wie er danach aufschreibt, "phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität mit intensivem kaleidoskopartigem Farbenspiel". Die Substanz, an der arbeitet, scheint psychoaktiv zu sein - und dabei ungewöhnlich wirkmächtig.

Drei Tage später, am 19. April 1943, entschließt sich Hofmann zu einem kontrollierten Selbstversuch - und damit beginnt die Karriere des LSD. Sie beginnt mit etwas, was LSD-Freaks später einen Horrortrip genannt hätten. Die Möbel in Hofmanns Zimmer rühren und regen sich um ihn her, Gesichter verzerren sich zu Fratzen, er glaubt zu sterben - und erlebt gleich danach ein unerhörtes Glücksgefühl. Am nächsten Tag: Präzise Erinnerung, kein Kater. Auch führt LSD, wie sich später zeigt, zu keiner körperlichen Abhängigkeit. Hat Albert Hofmann also eine Art Wunderdroge gefunden, einen Königsweg zu versperrten Persönlichkeitsschichten? Erlaubt sie gar Einblicke in die Zustände, wie sie Geisteskranke erleben?

Bald interessieren sich Psychotherapeuten und Psychiater für die Substanz: Berühmte Schriftsteller wie Aldous Huxley, Ernst Jünger, Allen Ginsberg und Arthur Koestler begeben sich feierlich auf LSD-Reise. Und die Jugend, entdeckungslustig schon qua Alter, steigt ebenfalls ein.

LSD ist zu dieser Zeit noch nicht verboten. Als "seelenöffnend", als "psychedelisch", gilt das Wundermittel, es wirkt wie Treibstoff für die in den Sechziger-Jahren entstehende Hippieszene. Allerdings häufen sich, nicht überraschend bei so breitgestreuter Einnahme, auch Unfälle, Selbstmorde und Psychosen bei labilen Personen. Bald nimmt Sandoz LSD vom Markt, der Drogenmarkt entdeckt neue Sensationen.

Und Albert Hofmann? Immer wieder, erzählt er, sei er von Interessenten, auch von ausgeflippten Typen aufgesucht worden. Einmal kam ein Junge, starrte ihn lange an - sein Gesichtsausdruck ein einziges Staunen: Dieser ältere Herr mit bürgerlichem Habitus, dieser Dr. Hofmann, sollte der Vater der Teufelsdroge sein, der Oberzauberer wilder Fahrten in den Weltinnenraum der Seele? Dann verschwand der Besucher wortlos.

Der Herr mit bürgerlichem Habitus aber wurde über 100 Jahre alt. Er riet der Jugend nur eines: Sie soll tanzen.


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