Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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17. März 1729 Jonathan Tyres pachtet Vauxhall Gardens

Einmal nach Disneyland. Das ist schon gut und recht. Aber wie anders war es noch damals im alten England, als man in die Mutter aller Vergnügungsparks ging, nach Vauxhall Gardens! Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 17.03.2022 | Archiv

17 März

Donnerstag, 17. März 2022

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

An schönen Sommerabenden stiegen tausende Londoner am Themseufer in Ruderboote: Damen in Reifrock und Gentlemen mit Zopfperücke, respektable Familien samt Dienstboten, kichernde Mädchen und junge Kontorschreiber mit extragroßen Krawatten. Die Flotte ließ die stickige, stinkende Metropole hinter sich und glitt die Themse hinauf bis zum Dörfchen Vauxhall. Dort wartete ein Zauberreich, wie entzückte Besucher schrieben, ein Land wie aus Tausendundeiner Nacht.

Zauberhaft

Schattige Alleen verlockten zum Spaziergang, aus einem Pavillon klang Musik von Geigen und Flöten. Weiß gedeckte Tische standen einladend auf grünem Rasen und in elegant geschwungenen Kolonnaden. Durch einen lichten Wald führten kiesbestreute Wege, an denen es Statuen, romantische Grotten, Tempelchen und einen künstlichen Wasserfall zu bestaunen gab.

Die größte Attraktion aber waren die Gäste selbst, das Londoner Panoptikum, wie es nirgendwo sonst so bunt zu sehen war: Aristokratinnen mit ihren Spitzen und Juwelen, der Kronprinz höchstpersönlich, geschminkte Transvestiten und prominente Politiker, Gäste in exotischen Gewändern aus fernen Landen und Hausmädchen im Sonntagsstaat.

Ohne Vauxhall Gardens war London im 18. Jahrhundert nicht denkbar, und für Touristen wie Staatsbesucher gehörte der Besuch zum Pflichtprogramm. Geschaffen hatte das Feenland ein Mann mit einer Vision: Jonathan Tyers war Inhaber einer florierenden Handelsfirma, mit dem Geist eines großen Aufklärers. Vergnügen und Erholung seien dem Menschen unentbehrlich, meinte er, aber dabei solle der Mensch gebildet und die Gesellschaft verbessert werden.

Und so pachtete Jonathan Tyers am 17. März 1729 einen zum Vorstadtstrich heruntergekommenen Ausflugsgarten in Vauxhall und machte daraus den ersten und berühmtesten Vergnügungspark Europas.

Vergnüglich

Ganz im Geist der Aufklärung wollte er den Menschen durch Schönheit bilden, den Geschmack des breiten Publikums kultivieren, und nebenbei förderte er eine ganze Generation junger Künstler: Die Pavillons für Vauxhall Gardens entwarfen Architekten, die später große Karrieren machten, und renommierte Maler schmückten Wandelhalle und Speiseseparées mit Bildern. Das exzellente Orchester machte die Werke zeitgenössischer Komponisten zu Straßenschlagern und beförderte Händels Aufstieg zum Superstar. Der Maestro selbst dirigierte hier seine Feuerwerksmusik vor zehntausend Zuhörern noch vor der offiziellen Uraufführung.

Für einen erschwinglichen Shilling hatte jeder Zutritt zu Vauxhall Gardens, nur das kalte Hühnchen und der Burgunder kosteten extra. In den Alleen flanierten Handwerker und Herzöge, Kaufmannsgattinnen und Kurtisanen. "Nirgends sind der Adel und der gemeine Mann so vereinigt wie hier", schrieb Leopold Mozart beeindruckt, und viele Briten meinten, dieser freie Umgang sei die Essenz ihrer Nation.

Jonathan Tyers starb 1767. Sein grünes Utopia überlebte ihn um fast ein Jahrhundert. Für die Viktorianer war es ein altmodisches, aber heißgeliebtes Erbstück. Kommen wollte zuletzt kaum noch jemand, doch als Vauxhall Gardens endgültig die Tore schloss, konnten sie es kaum fassen. Das sei, schrieb ein Journalist, als würde man die Niagara-Fälle abschalten.


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