Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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15. Dezember 1904 Isadora Duncan eröffnet Barfuß-Tanzschule

Isadora Duncan, "die Göttliche", schien mühelos von Erfolg zu Erfolg zu tanzen. Am 15. Dezember 1904 gründete sie in Berlin sogar eine Barfußtanzschule. Doch das Privatleben der Tanzrevolutionärin war ein Desaster. Autorin: Prisca Straub

Stand: 15.12.2017 | Archiv

15 Dezember

Freitag, 15. Dezember 2017

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Sie springt, sie taumelt, hüpft und schwebt. Und sie hat eine ausgeprägte Vorliebe für teure Stoffe: kurze Kleider aus weißem Satin, knöchellange Gewänder aus glänzendem Musselin. Schuhe trägt sie keine: Isadora Duncan tanzt barfuss. Das ist ihr  Markenzeichen.

Zeit ihres Lebens tanzt Isadora Duncan aus der Reihe: Nicht nur weil sie auf Ballettschuhe und das um 1900 obligatorisch eng geschnürte Korsett verzichtet. Die amerikanische Tanzpionierin aus San Francisco fegt das gesamte Regelwerk des klassischen Balletts von der Bühne und nimmt in Europa Posen ein, die man noch nie gesehen hat: langsam fließende Bewegungen, ausgebreitete Arme, entrückter Gesichtsausdruck. Ihre durchscheinenden Kleidchen unterstreichen dabei, was sie eigentlich verhüllen sollten - mitunter scheint es, als stünde die Tanz-Revolutionärin nackt auf der Bühne.

"Tanz der Zukunft"

Von so viel Aufbruch überfordert, gibt sich das Publikum in Paris, London und Berlin zunächst schockiert: Ganz allein tanzt Isadora Duncan komplette Symphonien: Sie springt nicht nur in Theatern und Konzertsälen herum, sondern auch in Museen und Bibliotheken. Für ihren "Tanz der Zukunft" lässt sie sich von der Vergangenheit inspirieren: von antiker Vasenmalerei im British Museum und marmornen Nackedeis in der Münchner Glyptothek: blanke Haut, offene Haare, eine lose fallende Tunika. Vom Habitus griechischer Götter bis hin zum modernen Ausdruckstanz ist es für Isadora Duncan dann nur noch ein kleiner Schritt.

Als die aparte, zartgliedrige Frau schließlich ihre eigene "Freitanz-Schule" gründet, tanzen ihre 20 Schülerinnen in griechischen Kittelchen und natürlich barfuss wie ihre Lehrerin. Keine schmerzenden Ballen, kein Drill, kein ermüdendes Training. Korrigiert wird nicht: Die Bewegungen sollen aus dem Inneren erspürt werden.

Die am 15. Dezember 1904 in einer Berliner Villa eröffnete so genannte "Barfuß-Tanzschule" gilt dennoch als öffentliches Ärgernis: Ihrer nackten Waden wegen dürfen die Mädchen nur bei geschlossenen Veranstaltungen auftreten.

Private Katastrophen

Trotzdem: Isadora - "die Göttliche" - schwingt sich scheinbar mühelos von Erfolg zu Erfolg. Nur privat zieht es sie, leider in die entgegengesetzte Richtung. Das Schicksal ist erbarmungslos: Ihre beiden Kinder ertrinken, als das Auto, in dem sie sitzen, in die Seine stürzt - der Chauffeur hatte beim Aussteigen vergessen, die Handbremse zu ziehen. Und auch die Ehe mit dem fast 20 Jahre jüngeren, russischen Dichter Sergei Jessenin bringt der Prima Ballerina kein Glück: Der knabenhafte Poet und die berühmte Choreographin können kein Wort miteinander reden: Er spricht kein Englisch, sie kein Russisch. Sie tanzt, er trinkt. Nur anderthalb Jahre und etliche zertrümmerte Hotelzimmer später ist die Beziehung am Ende. Alkoholzermürbt erhängt sich Jessenin in St. Petersburg.

Zu diesem Zeitpunkt weilt die Barfußtänzerin bereits an der Côte d’Azur: Nizza wird die letzte Station ihres sprunghaften Lebens. Der Tod ereilt Isadora Duncan 1927 völlig unerwartet - und ausgerechnet ihr Lieblingskleidungsstück ist daran beteiligt: Ihr wallender Seidenschal verfängt sich beim Anfahren in der Hinterfelge ihres Bugatti-Cabrios: Sie ist auf der Stelle tot.

Übrigens: Mit ihrer ungewöhnlichen Todesart findet die weltberühmte Ausdruckstänzerin, die im Leben wie im Sterben nicht zu bremsen war, sogar Eingang in die rechtsmedizinische Fachliteratur: Die "Grande Dame" des modernen Tanzes wird dort erwähnt als ein sehr seltenes Beispiel für - so der Fachausdruck - "ungewollte Strangulation durch ein Fahrzeug ".


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