Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. September 1811 Bettine bei Goethe

Bettine von Arnim drängte sich ihrem Idol Goethe auf und gab den stark geschönten "Briefwechsel Goethes mit einem Kinde" heraus. Am 9.9.1811 kam es zu einer Rauferei zwischen Bettine und Goethes Frau Christiane.

Stand: 09.09.2011 | Archiv

09 September

Freitag, 09. September 2011

Autor(in): Armin Strohmeyr

Sprecher(in): Sabine Kastius, Andreas Neumann, Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

SPRECHER
Zwei Menschen liebte Bettine von Arnim, geborene Brentano, abgöttisch: ihren sieben Jahre älteren Bruder Clemens und den Weimarer Dichterfürsten Goethe. Sie stilisierte ihre Liebe vor der Nachwelt als romantische Hingabe par excellence, indem sie die Korrespondenzen publizierte - und ihre Briefe im Nachhinein auch recht freizügig umformulierte. 1810 begegnen sich Bettine Brentano und Goethe im böhmischen Teplitz - Bettine hat später die Begegnung vor der Nachwelt erotisiert:

ZITATORIN
»›So laß doch die Kühlung dich anwehen‹, sagte er und öffnete meine Kleidung. Ich ward rot. Er sagt: ›Das Abendrot hat sich auf Deine Wangen eingebrannt‹, und küßt mich auf die Brust und senkt die Stirne darauf.«

SPRECHER
Was genau damals passiert ist, bleibt unklar. Jedenfalls war das Verhältnis nicht unbelastet. Das wird im Jahr darauf deutlich, als Bettine mit ihrem Mann Achim von Arnim - die beiden haben ein halbes Jahr zuvor geheiratet - Ende August nach Weimar kommt und sich wieder an ihr Idol heranmacht. Am Abend des 9. September sind die Arnims zum Diner in Goethes Haus am Frauenplan geladen. Es wird gegessen und getrunken, diskutiert und gelacht. Sie denken auch an Clemens Brentano, der an jenem Tag seinen 33. Geburtstag hat, aber im fernen Bukowan in Böhmen weilt. Goethe hegt gegenüber Achim von Arnim und dessen Herzensbruder große Sympathie. Fünf Jahre zuvor hat er sogar deren Volksliedersammlung »Des Knaben Wunderhorn« begeistert rezensiert. Doch unter der glatten Oberfläche gärt es: Goethes Frau Christiane kommt mit der vorlauten Frankfurter Bürgerstochter Bettine nicht klar. Christiane stammt aus einfachsten Verhältnissen, ist zwar ungebildet, aber lebenstüchtig. Bettine hingegen ist zwar gebildet, aber auch eingebildet. Und: sie neidet Christiane deren Nähe zu Goethe.

Vier Tage später kommt es zum Ausbruch der lange schwelenden Antipathie: Christiane Goethe und das Ehepaar Arnim besuchen eine Ausstellung in der Weimarer Zeichenschule des Doktor Johann Heinrich Meyer, genannt »Kunstmeyer«. Christiane lobt eine der Zeichnungen. Bettine hingegen äußert sich abfällig. Christiane widerspricht. Bettine wird ausfällig und schimpft. Daraufhin verpasst Christiane der Jüngeren eine Ohrfeige, die so unglücklich trifft, dass die Brille herunterfällt und zerbricht. Bettine gerät nun vollends außer sich, geht auf die etwas füllige Christiane los und schreit:

ZITATORIN
»Sie toll gewordene Blutwurst!«

SPRECHER
Die Umstehenden trennen die aufeinander einschlagenden Frauen. Goethe ist über Bettines Frechheit empört und spricht den Arnims ein Hausverbot aus. In einem Brief an Herzog Carl August nennt er die Frankfurterin gar eine »leidige Bremse«. Achim von Arnim hält zu seiner Frau. In einem Brief an den Schwager Savigny behauptet er, Goethe würde in Weimar in »schrecklichen Verhältnissen« leben, dessen Frau Christiane unterhalte »Hurerey« mit Schauspielern. Das Zerwürfnis hat sogar für die Geistesgeschichte Konsequenzen: Die Romantiker, bislang von Goethe wohlwollend zur Kenntnis genommen, erscheinen ihm nun unreif und anmaßend. In seinen »Maximen« heißt es klipp und klar:

ZITATOR
»Klassisch ist das Gesunde, romantisch das Kranke.«

SPRECHER
Bettine indes sucht das Vorkommnis zu übergehen. Mehrmals noch schreibt sie an Goethe, doch der antwortet nicht. Wenige Tage vor Goethes Tod kommt Bettines Sohn Siegmund nach Weimar und macht seine Aufwartung. Der greise Dichter schreibt dem jungen Mann einen Spruch ins Stammbuch, der auch als Warnung an Bettine zu verstehen ist:

ZITATOR
»Ein jeder kehre vor seiner Tür,
Und rein ist jedes Stadtquartier.«

SPRECHER
Als Goethe gestorben ist und sich nicht mehr wehren kann, veröffentlicht Bettine ihre stark geschönte und romantisch überhöhte Korrespondenz mit dem Idol unter dem Titel »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«. Darin zeichnet sie sich als reines, unkonventionelles Naturkind. Und sie entwirft das scheußliche Gipsmodell eines Goethedenkmals, das den Dichter als barbrüstigen, bizepsschwellenden antiken Heros darstellt. Bettine selbst schmiegt sich als geflügelte Psyche an sein Bein. Glücklicherweise ist der Entwurf nie realisiert worden.


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