Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. August 2005 Russisches Dorf setzt dem "e" ein Denkmal

Der russische Buchstabe "jo", ein "e" mit zwei Pünktchen drauf, hat´s in sich: Soll man sie setzen oder nicht? Offiziell wurden sie verboten. Ein russisches Dorf aber leistete Widerstand… Autorin: Petra Herrmann

Stand: 09.08.2017 | Archiv

09 August

Mittwoch, 09. August 2017

Autor(in): Petra Herrmann

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Russisch, was für eine klangvolle, sangbare, sinnliche Sprache! Allein schon die Vokale. Zehn Stück gibt es davon – im Russischen. Im Deutschen begnügen wir uns mit mägerlichen fünf. Das liegt daran, dass es die Russen viel differenzierter und genauer nehmen. Zum Beispiel kommt der Vokal "jo" nur vor, wenn er innerhalb des Wortes betont ist und wenn der vorangehende Konsonant erweicht ist. Erweichter Konsonant? Nie gehört. Was soll das denn sein? Na ja, wie gesagt. Im Deutschen hören wir nicht so genau hin. Wir halten das B in Bruder für dasselbe wie das b in rabiat. Ist es aber nicht. Denn das B in Bruder ist hart und das in rabiat weich. So wie das W in Wasser hart ist, nicht aber in der Vene. Und das D in der Dame? Hart natürlich. Im Gegensatz zum weichen d in Radio. Das Russische hat sogar ein eigenes Schriftzeichen, das dem Leser sagt, was für einen Konsonanten er vor sich hat, das sog. Weichheitszeichen. Früher gab´s sogar noch eines für die "Härte", aber das hat man gottlob auf dem Weg vom Altkirchenslavischen zum modernen Russisch verloren.

"Jo"!

Doch zurück zum "jo". Das schreibt man wie ein kleines e mit zwei Pünktchen oben drauf. In offiziellen Dokumenten sind die zwei Pünktchen aber verboten, was die Sache nicht erleichtert. Dass man weiß, wann man das e als "jo" lesen soll, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Schließlich sind offizielle Dokumente ja auch nicht für jeden Deppen gedacht, da hat man in Russland so seine Traditionen. Doch wo Verbote sind, da regt sich Trotz und Widerstand - nicht nur in Russland. Und so hat nun ein kleines Dorf dem geschmähten Zeichen ein Denkmal gesetzt. Am 9. August 2005 hat das die Agentur ITAR-TASS gemeldet.

Die Vorgeschichte: Ulianowsk heißt der Ort an der Wolga, es gibt ihn wirklich, er ist kein Potemkinsches Dorf (hören Sie das "jo"?) und verfügt historisch gesehen über besondere Beziehungen zu den beiden Pünktchen. Denn der bislang bedeutendste Sohn des Fleckens, der Dichter Nikolai Karamsin, hat sie seinerzeit anno 1797 eingeführt, weil das "jo" in so vielen Nachnamen der Region enthalten war. Und dann haben die Anhänger des seltenen "jo" noch eine Berühmtheit auf ihrer Seite. Leo Tolstoi. Der hat in seinem Klassiker "Anna Karenina" dem Konstantin Lewin zwei Pünktchen aufs e gedrückt, damit sich der Name "Liowin" ausspricht und nicht auf eine jüdische Herkunft verweist.

Weiß auf Schwarz

1997 – genau 200 Jahre nach der Erfindung des "jo" – kam nun in Ulianowsk die Idee mit dem Denkmal auf. Doch was dem "jo" hinstellen? Schließlich wurde ein allrussischer Wettbewerb ausgeschrieben. Es trafen sogar Vorschläge aus dem Ausland ein. Trotz dieser beeindruckenden Konkurrenz konnte sich der Mann durchsetzen, dem die Sache mit dem Denkmal überhaupt erst eingefallen war. Es handelt sich um den Uljanowsker Maler Alexander Sinin. Der ortsansässige Künstler hatte ein schwarzsteinernes Rechteck geschaffen - mit einem großen weißen "jo" drauf.

Das Werk hat übrigens 500 000 Rubel gekostet. Hony soit qui mal y pense. Das ist die große Geste eines alten Kulturvolkes, dem es eben auch auf Kleinigkeiten ankommt. – jo.


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