Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. März 1945 Uraufführung von "Kinder des Olymp"

Trotz aller Schikanen der Nazi-Zensur: ein Meisterwerk des poetischen Realismus des französischen Films - technisch, psychologisch und inhaltlich. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 09.03.2020 | Archiv

09 März

Donnerstag, 09. März 2017

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Als der Film "Kinder des Olymp" am 9. März 1945 in Paris uraufgeführt wurde, ging für den Regisseur Marcel Carné ein Traum in Erfüllung. Die Besatzung Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg war zu Ende, und endlich konnte er sein Meisterwerk des poetischen Realismus der europäischen Öffentlichkeit präsentieren, als Triumph des französischen Geistes über den Nazi-Terror.

Freiheit!

Mehr als einmal waren die Dreharbeiten fast gescheitert: wegen der Gestapospitzel, die am Set nach Widerständlern und Juden fahndeten, wegen der kriegsbedingten Materialknappheit und wegen des Hungers. Die für Bankettszenen notwendigen Nahrungsmittel waren oft schon aufgegessen, bevor die Kameras liefen.

In Zeiten der Besatzung konnte natürlich nur ein politisch unverfängliches Drehbuch die Zensur passieren. Dennoch: Das große Thema des Films ist die Freiheit, in der Liebe und in der Kunst. Die Handlung spielt auf dem Pariser Boulevard du Temple, den es im 19. Jahrhundert wirklich gegeben hat. Hier reihte sich ein Theater an das andere, hier drängte sich das Volk im Olymp. So nannte man die billigen oberen Theaterränge für die armen Leute, deren Beifall oder Ablehnung über Aufstieg und Fall ganzer Ensembles entscheiden konnte.

Der Boulevard du Temple wurde auch Boulevard du Crime genannt, wegen der vielen Verbrechen auf der Bühne und im wirklichen Leben. Das Dasein der Künstler war geprägt von schlechtem Verdienst, erbarmungsloser Konkurrenz, behördlichen Schikanen und Spitzeleien. Die Hauptdarsteller stellen Künstler dar, die es wirklich gegeben hat, Künstler mit ganz unterschiedlichen Charakteren, melancholische Träumer, Verbrecher, ehrgeizige Karrieristen.

Bühne und Leben

Allen ist gemeinsam, dass sie in der Kindheit Gewalt erlitten haben. Ihr Rollenspiel auf der Bühne und im Leben überschneidet sich permanent und ist durchzogen von einer Spur der Verstörung. Vier Männer begehren die schöne und freiheitsliebende Garance auf ganz unterschiedliche Weise. Garance weiß, wen sie liebt, das ist der melancholische Pantomime Baptiste. Aber der will Verbindlichkeit und Schutz und sie will Freiheit und Lust, sie verfehlen sich. Dieser Film, der von der Vieldeutigkeit und Tragik des Lebens, der Liebe und der Kunst erzählt, wurde in der Nachkriegszeit begeistert gefeiert, auch von den jungen Deutschen, die mit der mörderisch eindeutigen Nazi-Ideologie aufgewachsen waren.

Aber bei der Uraufführung in Paris fehlte jemand, und zwar ausgerechnet die Hauptdarstellerin Arletty, die im Film die Garance spielt. Arletty hatte schon während der Dreharbeiten eine Liebesbeziehung mit einem deutschen Besatzungsoffizier unterhalten und saß nun wegen Kollaboration mit dem Feind in einem Internierungslager. In Zeiten der äußersten Entfremdung und Feindschaft hatte man für die Vieldeutigkeit der Liebe keine Antenne. Später kamen sich Deutsche und Franzosen langsam wieder näher - und dazu haben auch die "Kinder des Olymp" einiges beigetragen.


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