Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Dezember 1768 Cornelia Goethe hat Zukunftsangst

Der Vater hatte Cornelia Goethe gefördert, wie ihren berühmten Bruder Johann Wolfgang. Nur was sollte sie mit ihrer guten Bildung anfangen? An ihrem 18. Geburtstag am 7. Dezember 1768 blickt Cornelia düster in die Zukunft. Autorin: Brigitte Kohn

Stand: 07.12.2021 | Archiv

07 Dezember

Dienstag, 07. Dezember 2021

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Am 7. Dezember 1768 schreibt Cornelia Goethe folgende Zeilen in ihr Tagebuch: "Heute ist mein Geburtstag, an dem ich das 18. Lebensjahr vollende. Die Zeit ist verflossen wie ein Traum; und ebenso wird die Zukunft vergehen, mit dem Unterschied, dass mir mehr Übel zu erleiden übrig bleiben, als ich bisher erfahren habe. Ich ahne sie." Cornelia geht es nicht gut. Aus dem fröhlichen Kind, das gemeinsam mit dem Bruder Johann Wolfgang Goethe, durchs Frankfurter Elternhaus tobte, ist ein trauriges Mädchen geworden.

Nervöser Hautausschlag vor jedem Ball

Und ein einsames. Denn der Bruder ist längst in Leipzig und studiert dort. Mädchen dürfen natürlich nicht auf die Universität. Ihre Perspektive ist der Heiratsmarkt. Auf Bälle gehen, hübsch aussehen, possierlich plaudern: Mehr wird nicht verlangt. Aber Cornelia kann das nicht. Sie fühlt sich als Mauerblümchen, ängstigt sich vor gesellschaftlichen Ereignissen; vor jedem Ball plagt sie ein nervöser Hautausschlag.

Dass sie  konzertreif Klavier spielt, mehrere Sprachen spricht und sehr belesen ist, bringt auf dem Heiratsmarkt keine Pluspunkte ein. Eher im Gegenteil. Aber Cornelia kann nichts dafür, dass sie anders ist. Der Vater hat sie fast ebenso gefördert wie den Sohn. Mädchen hin oder her: Die Begabungen der Tochter reizen seinen pädagogischen Ehrgeiz. Cornelia muss den ganzen Tag lesen, lernen, Klavier üben. Für Küche und Haushalt, für das, was die anderen Mädchen lernen, bleibt keine Zeit.

In der Welt der Frauen ist Cornelia also fremd. Doch in die Männerwelt gehört sie auch nicht. Selbst der geliebte Bruder macht ihr das in seinen arroganten Briefen aus Leipzig unmissverständlich klar. Aber wenn er heimkommt, stellt sich die alte Innigkeit schnell wieder ein. Alles bespricht Wolfgang mit seiner Schwester, was ihm im Kopf herumgeht. Alle literarischen Einfälle, alle Projekte. Cornelia spürt sein Genie. Und sie ist stolz darauf, es beflügeln zu dürfen. Jetzt, wo er noch ganz am Anfang steht. Jetzt, wo er sie so dringend braucht, um sich zu finden.

Ehe als einziger Ausweg

Aber wenn es Wolfgang wieder in die Ferne zieht, geht er eben. Nichts fesselt ihn. Er lernt andere Frauen kennen, die ihn inspirieren. Für Cornelia hingegen ist das Vaterhaus ein Gefängnis, und es gibt nur einen Ausweg: eine Ehe. Als ein Freund des Bruders um ihre Hand anhält, sagt sie zu.

Georg Schlosser ist ein kluger und fortschrittlicher Mann, aber wenn es um Frauen geht, hält er es mit der Tradition. Geschwisterliche Gleichheit und geistiger Austausch, wie sie in guten Zeiten mit dem Bruder möglich waren, haben in dieser Ehe keinen Platz. Cornelias Zustand verschlechtert sich, oft kann sie monatelang nicht aufstehen. Das ist die einzige Form des Protests, die man ihr nicht nehmen kann. Mit 27 Jahren stirbt sie, völlig erschöpft durch jahrelange Depressionen, nach der Geburt der zweiten Tochter. Die düsteren Ahnungen an ihrem 18. Geburtstag sind Wirklichkeit geworden.


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