Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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7. Juli 1901 Johanna Spyri gestorben, Mutter von "Heidi"

"Das Heidi", nicht "die Heidi" nannte die Schweizerin Johanna Spyri die kleine Heldin ihres Buchs. Doch mit der Niedlichkeit der heutigen Heidi-Industrie hatte Spyris Mädchen nichts zu tun. Depressionen kannten die Autorin wie ihr Buch-Kind. Am 7. Juli 1901 ist Johanna Spyri gestorben.

Stand: 07.07.2011 | Archiv

07 Juli

Donnerstag, 07. Juli 2011

Autor(in): Susanne Tölke

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Hai -ji heißt sie in Japan, genauer gesagt "Arupusu no shojo hai-ji", Heidi, das Mädchen aus den Bergen. Die 1974 erstmals ausgestrahlte Zeichentrickserie war die erste, die von einem umfangreichen Marketing des Zubehörs begleitet wurde: vom Schlüsselanhänger über das Federmäppchen bis zum Plüschtier, nämlich Heidis Zicklein, profitierte eine ganze Heidi-Industrie. "Cuteness Culture", die Kultur der Niedlichkeit, nennt das die Soziologie. Dahinter steckte - so die Wissenschaftler - die Revolte gegen das Erwachsenwerden, gegen das Übernehmen traditioneller Geschlechterrollen.

Wie wenig Hai-ji mit Heidi zu tun hat, zeigt schon der erste Blick in das Buch der Schweizerin Johanna Spyri. "Das Heidi hatte eine große Anhänglichkeit an die alte Großmutter und es plauderte und erzählte so lustig von allem, was es wusste, dass es der blinden Großmutter ganz wohl machte." Das Heidi, nicht die Heidi, ist ein wildes Barbarenkind, das nur deshalb in völliger Einsamkeit aufgewachsen ist, weil es vom verbitterten Großvater dazu gezwungen wurde. Wenn sich Heidi aus den Bergen und Klara aus der Großstadt miteinander anfreunden, dann helfen sich zwei Kinder, die beide beschädigt sind. Die gänzlich Unzivilisierte und die von jeder Natur Abgeschnittene stützen einander, jedenfalls für eine Weile, bis der gute Doktor erkennt, welch tiefe Depression das Heimweh bei Heidi ausgelöst hat. Das ist eine Reverenz an Johanna Spyris Vater, der als Arzt und Psychiater seine Patienten mit Verständnis und Humor behandelte.

Den Humor hat die Tochter geerbt, allerdings bekam er im Lauf ihres Lebens immer grimmigere Töne. Kein Wunder, denn die begabte Johanna Heusser erlitt nach der Heirat mit dem Stadtschreiber und Kantonsrat Bernhard Spyri das für ihre Zeit typische Frauenschicksal. "Liebe Betsy", schrieb sie der Freundin, "Du wunderst Dich, dass ich abgenommen habe? Ja, bei uns zu Haus wird gar nichts mehr gegessen. Mein Mann liest am Tisch so stramm seine Zeitung, dass er das Essen vollständig vergisst, und ich hab schon von Anfang an genug." Sie soll ihren Gatten unterstützen, hübsch aussehen, ihrer gesellschaftlichen Stellung gemäß agieren, aber lesen oder gar schreiben soll sie nicht. 

Deshalb veröffentlicht sie ihr erstes Buch auch unter Pseudonym. 1880, da ist sie schon 53, erscheint der Roman "Heidis Lehr- und Wanderjahre", ein Jahr darauf "Heidi kann brauchen, was es gelernt hat". Der Erfolg macht Johanna Mut. Sie, die jahrzehntelang immer wieder von schweren Depressionen heimgesucht wurde, fängt an zu kämpfen. Sie setzt sich für die Belange der Frauen ein, sitzt in der Kommission, die die erste höhere Schule für Mädchen gründet. Sie kämpft dafür, dass ihre Nichte Emily als erste Frau an der Universität Zürich studieren darf und sie lässt sich, als sie an Krebs erkrankt, von Marie Helm-Vögtlin behandeln, der ersten Frau, die in der Schweiz ihre Approbation als Ärztin erhielt.

Am Ende ihres Lebens, sie stirbt am 7. Juli 1901 in Zürich, überrascht uns Johanna mit einer Schnulze. Sie schreibt den Roman "Sina", in dem eine junge Frau nicht Ärztin werden darf, aber trotzdem glücklich wird an der Seite des Medizinprofessors Clementi. "Bist du mein?" fragte er sie und sie antwortete: "Ich kenne nichts Schöneres, als Deine Sorgen mit Dir tragen zu dürfen." Das nennt man galligen Humor.  


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