Bayern 2 - Das Kalenderblatt


3

7. März 1919 Hemingway kriegt Post von Agnes Kurowsky

Eine Granate hatte Ernest Hemingway im Ersten Weltkrieg ins Lazarett befördert, wo er auf Krankenschwester Agnes traf. Aus der Begegnung wurde erst Liebe, dann Literatur. Autor: Rainer Nothaft

Stand: 07.03.2017 | Archiv

07 März

Dienstag, 07. März 2017

Autor(in): Rainer Nothaft

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Aggie haben sie sich genannt, und Ernie, und so, Aggie und Ernie, nennen wir auch ihre bittersüße Liebesgeschichte. Aggie, gelernte Krankenschwester, kam aus Washington, hatte eine Menge kastanienbraunes Haar, ein Paar grau-blaue Augen, war 26 und nach Meinung ihrer männlichen Patienten überaus hübsch anzuschauen. Ernie stammte aus dem ländlichen Mittelwesten der Staaten, war 19 und nach seinem Schulabschluss eine Weile Polizeireporter bei ein paar Provinzblättern, außerdem ein Experte im Forellenfischen. Begegnet sind sich Aggie und Ernie das erste Mal im Spätsommer 1918 im amerikanischen Rotkreuzkrankenhaus von Mailand.

18 Krankenschwestern und Ernie

Seit einem Jahr befand sich auch Amerika im Krieg. Es hatte Soldaten nach Europa geschickt und mit ihnen jenes Heer von Jugendlichen und Kurzsichtigen, die, da waffenuntauglich, als Sanitäter Dienst leisteten. Einer von ihnen war Ernie. Allerdings nicht für lange. An der österreichisch - italienischen Front, bei Fossalta im Piave-Tal, hat es ihn bald erwischt: eine Granate war in seiner Nähe hochgegangen und hatte ihm 227 Splitter in die Beine gejagt. Als sich in Mailand dann die Krankenhaustür hinter ihm schloss, war für ihn der Krieg zu Ende.

18 Krankenschwestern sorgten in einem Palazzo nahe der Scala für drei leicht Erkrankte und den bislang einzigen amerikanischen Verwundeten an diesem Frontabschnitt - eben Ernie. 18 Krankenschwestern, von denen eine ihm schnell den Kopf verdreht hat - eben Aggie. Aggie wurde Ernies erste große Liebe. War von ihr am Anfang womöglich nur ein kurzer Flirt geplant, ganz bald hat sich auch Aggie - wie ihre später gefundenen Briefe zeigen - mächtig in Ernie verknallt. Von Heirat wurde gesprochen, ein Ringlein verschenkt und im Januar 1919 tuckerte ein erstaunlich schnell genesener Ernie über den Atlantik zurück. Er wollte sich zu Hause schon mal nach einem Job umsehen.

"Deine Freundin Aggie"

Womit unserer Lovestory süßer, von manchem Glas Asti Spumante begleiteter Teil zu Ende wäre. Ihr bitterer beginnt. Unter dem 7. März 1919 teilt Aggie ihrem fernen Ernie brieflich mit, dass es aus sei zwischen ihnen, unwiderruflich aus; hält ihm seinen fehlenden Beruf als Grund vor; spielt ihre früheren Gefühle als nur "mütterlich" herunter und zeichnet frostig als "Deine Freundin Aggie".

Der Brief hat Ernie schlicht umgehauen: - "Oh Bill", so vertraute er sich einem Freund an, "ich kann keine Witze darüber machen und ich kann auch nicht böse sein, es tut nur so verdammt weh."

Doch wie die Dichter aus ihren großen Schmerzen ihre kleinen Lieder machen, so hat Ernie aus seiner Erfahrung einen langen Roman und viele Kurzgeschichten gemacht. Denn Ernies voller Name lautet Ernest Hemingway. Und Aggie war Agnes von Kurowsky, die zum Vorbild wurde für die Krankenschwester Catherine Barkley in Hemingways oft verfilmten, millionenfach aufgelegten Roman In einem anderen Land. Aus der Distanz von 10 Jahren hat Hemingway darin noch einmal jenen Spätsommer und Herbst von 1918 beschworen: den Krieg, seine Verwundung, Italien. Vor allem aber seine Liebe zu Agnes von Kurowsky.

Viele Passagen in anderen Werken Hemingways zeigen, dass er ihren, wie er es empfand, "Verrat" nie ganz verwunden hat. In einem anderen Land aber ist Agnes von Kurowsky so dargestellt, wie sie ihm damals im Krankenhaus bei der Scala zuerst begegnet ist: als Mädchentraum eines jungen Mannes. Aus Aggies und Ernies bittersüßer Liebesgeschichte ist ein Stück Weltliteratur geworden.


3