Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. Januar 1787 Goethes erste Liebschaft in Rom

Goethe steckte in einer Lebenskrise und suchte in Rom nach Ruhe und antiken Idyllen. Prompt fand er dort eine erste Liebe - den steinernen Kopf der Göttin Juno. Autorin: Gabriele Bondy

Stand: 06.01.2017 | Archiv

06 Januar

Freitag, 06. Januar 2017

Autor(in): Gabriele Bondy

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Der Mann musste ja auffallen. Verguckte sich pausenlos in Marmorgestalten. War wie gebannt vor der "edlen Einfalt" und "stillen Größe" antiker Reste. Rastete richtig aus beim Anblick des "Apolls von Belvedere". Verbrachte ganze Tage mit Minerva und wäre wohl auch die Nacht geblieben, hätte es da nicht eine Wärterin gegeben... "Da ich von der Statue nicht weg wollte, fragte sie mich: ob ich etwa eine Schöne hätte, die diesem Marmor ähnlich sähe." Nein, hatte er natürlich nicht... dieser Philippo Möller, Pittore tedesco.

Mensch sein

Ein falscher Name übrigens. Der richtige: von Goethe, Johann Wolfgang. Daheim Staatsminister und Bestsellerautor und ständig im Stress. In Rom wollte er mal wieder Mensch sein, nicht mehr und nicht weniger. Ein Aussteiger - auf der Suche nach Kunst und sich selbst. Zu beidem hatte er den Anschluss verloren. Wusste nicht mehr, wer er war, was er wollte, wozu er taugte. Ein Mann in der Krise, trotz aller äußeren Erfolge - oder gerade wegen. In Rom, so hoffte er, würde sich entscheiden, wohin die Reise wirklich ging... Dichter, Maler? Oder was? Und die Liebe? Hatte die eine Zukunft, die zu seiner kapriziösen und dazu verheirateten Geliebten? Noch verzehrte er sich in Sehnsucht nach ihr. Doch kaum am Tiber angekommen, beichtete er der so schmählich verlassenen Charlotte von Stein, dass er eine neue Beziehung begonnen habe. Eine seltsame allerdings... Die ferne Freundin nahm’s gelassen. Sie hatte Schlimmeres befürchtet. "Seit gestern habe ich einen kolossalen Junokopf in dem Zimmer oder vielmehr nur den Vordertheil, die Maske davon..." schreibt er am 6. Januar 1787 nach Weimar. "Es war dieser meine erste Liebschaft in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch. Stünd ich nur schon mit dir davor. - Ich werde ihn gewiß nach Deutschland schaffen und wie wollen wir uns einer solchen Gegenwart erfreuen." - Doch soweit sind wir noch nicht. Vorläufig ziert die Juno - und noch etliche andere Gipsköpfe das Stübchen, das er bei Maler Tischbein bezogen hatte. Eine illustre Gesellschaft ist da versammelt: Goethe (im Original), Apoll, Jupiter, Medusa ... und andere mehr. Die Gipsgießer hatten alle Hände voll zu tun. Auch jene Minerva hätte der altertumssüchtige Tedesco zu gerne an sich genommen.

Doch die durfte nicht einmal berührt, geschweige denn geformt werden... "sonst" – so Goethe, "packt ich sie auch auf!"

Zu groß

Ein ausnahmsweise echtes Stück, ein gebrannter Tonscherben, schwätzt er seinem Perückenmacher ab. "Es stehen zwey Greifen an einem Opfertisch, sie sind von der schönsten Arbeit..." Sowas ließ sich leicht mitnehmen, nach Hause. Die imposante Juno - Göttin der Ehe und Geburten übrigens - muss er nämlich in Rom lassen. Transportprobleme! Trotzdem scheint sie aber ihre Fittiche über ihn gehalten zu haben. Denn kaum zurück in Weimar, trifft Goethe seine zukünftige Frau. Sohn August wird bald geboren. Für die Trauung braucht er etwas länger... Aber immerhin.

Doch wie kam die Kopie der Göttin dann doch noch zu ihm nach Hause an den Frauenplan? - 35 Jahre nach der Italienreise schenkt ihm ein guter Freund, der Berliner Staatsrat Christoph Friedrich Ludwig Schultz, einen neuen Kopf. "Keine Worte geben eine Ahndung davon, er ist wie ein Gesang Homers." Dass es sich bei Juno um eine römische und nicht um eine griechische Göttin handelt, ficht niemanden an. Hauptsache antik! Goethe soll sie "täglich und immer wieder mit neuem Eindruck" betrachtet haben.- Zumindest einer Liebschaft ist er somit ein Leben lang treu geblieben.


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