Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. November 1931 Geschichten aus dem Wiener Wald uraufgeführt

Sie hätten doch so gemütvoll sein können, "Die Geschichten aus dem Wiener Wald", die Ödön von Horváth am 2. November 1931 in Berlin zur Uraufführung brachte. Doch präsentiert bekam das Publikum "ein Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück", wie Erich Kästner schwärmte.

Stand: 02.11.2010 | Archiv

02 November

Dienstag, 02. November 2010

Autor(in): Silvia Topf

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

In politisch konfliktreichen Zeiten erlebt das kulturelle Leben eine besondere Blüte. Das war so auch in der Weimarer Republik, jenen eineinhalb Jahrzehnten zwischen dem Ende der Kaiserzeit und dem Beginn der Naziherrschaft. Nirgends blühte damals das kulturelle Leben und besonders die Theaterlandschaft reger als in Berlin. Wer hier Erfolg hatte, der hatte es geschafft. 1931 erlebte dann auch der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth den Durchbruch: Im Berliner Deutschen Theater wurde sein Volksstück "Geschichten aus dem Wiener Wald" uraufgeführt. Ein Walzer von Johann Strauß schien da in der Luft zu liegen und Heurigenseligkeit, aber Horváth hatte nichts davon im Sinn.

"Ein Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück" hat Erich Kästner Horváths Stück genannt, das schonungslos die Verlogenheit des Klischee vom "Goldenen Wiener Herz" und der sprichwörtlichen "Wiener Gemütlichkeit" entlarvt. Horváth erzählt die Geschichte von Not, Elend und sozialem Abstieg des "Wiener Mädels" Marianne und ihrem hartherzigen Vater, und wenn am Ende unter Walzerklängen sich doch noch alles zum Guten zu wenden scheint, ist doch gewiss, dass die Heirat mit dem Fleischhauer Oskar die Tragödie besiegelt und hinter der Gutmütigkeit einer kleinbürgerlichen Idylle doch nur Niedertracht, Gemeinheit und Bösartigkeit lauern.

All das vermittelt Horváth mit einer Sprache, die er "Bildungsjargon" nannte, einer Sprache, mit der sich seine Figuren über ihren Stand hinausheben wollen. Es ist eine Sprache der Sprachlosen, eine von Floskeln, leeren Phrasen, sprichwörtlichen Wendungen und falschen Höflichkeiten geprägte Sprache, eine Manifestation der Hilflosigkeit. Horváths Figuren kennt man aus Unterhaltungsfilmen und Operetten, es sind die Rittmeister, die süßen Mädel, die nichtsnutzigen Hallodri und die familiensüchtigen Kleinbürger.

Horváth hat, so bemerkte Erich Kästner in seiner Kritik der Uraufführung, den Plüsch übernommen, aber er klopfte ihn aus, dass die Motten aufflogen und die zerfressenen Stellen sichtbar wurden.

Er ließ diese Leute ihre Lieder singen, ihren plauschenden Dialekt sprechen, ihre Heurigenlokale trunken durchwandern und zeigte darüber hinaus die Faulheit, die Bosheit, die verlogene Frömmigkeit, die Giftigkeit und die Borniertheit, die dahintersteckten. Horváth zerstörte, so meinte Kästner, nicht nur das überkommene Wiener Figuren-Panoptikum, er gestaltete ein neues, echteres außerdem.

Die Uraufführung der "Geschichten aus dem Wiener Wald" am Deutschen Theater in Berlin fand am 2.  November 1931 statt und fand begeisterte Aufnahme. Innerhalb von zwei Monaten wurde das Stück 28 Mal wiederholt. Die namhaften Kritiker sahen in der Aufführung einen Höhepunkt des Berliner Bühnenlebens. Anders die nationalsozialistische Presse. Dort witterte man "Unrat ersten Ranges" und sah "das goldene Wiener Herz rettungslos in der Horvathschen Jauche ersoffen".

Zur österreichischen Erstaufführung kam es erst nach dem Krieg 1948, da war die Zeit noch immer nicht reif dafür. Es kam zu einem Skandal. Kritik und Publikum waren sich in ihrer Ablehnung einig. "Blasphemie aufs Wienertum" wurde empört gerufen und in der Zeitung konnte man lesen, dass "diesen Gespensterreigen von Halbtrotteln und Verbrechern ein Volksstück zu nennen" eine Anmaßung sei. Ein Kritiker sprach Horváth gar das menschliche Herz, das Fühlen ab. Es dauerte schließlich bis 1961, bis eine Inszenierung für das österreichische Fernsehen positive Reaktionen und eine Horváth-Renaissance auslöste.


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