Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. August 1740 "Rule, Britannia!" wird aufgeführt

Eine Insel wird zum Weltreich: Großbritannien verdankt seine Karriere als Seemacht der Flotte – und dem Motto: "Rule, Britannia!" Das Lied hält sich seit 270 Jahren in den Charts der Nation. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 01.08.2017 | Archiv

01 August

Dienstag, 01. August 2017

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Mia san mia!" Nicht nur die Bayern leben nach diesem Motto, doch andere drücken es anders aus. Zum Beispiel die Briten. "Britain“ ist „Britain"; die anderen sind "der Kontinent". Die britische Insel existiert allein schon durch die geografischen Gegebenheiten in "splendid isolation", in "wunderbarer Abgeschiedenheit" von Europa.

Herr der sieben Meere

Das hat Vorteile: Während die Völker auf dem Kontinent jahrhundertelang damit beschäftigt waren, einander in zahllosen Nachbarschaftsstreitigkeiten die Köpfe einzuschlagen, konnte man sich von der Insel aus anderen Dingen zuwenden – zum Beispiel Kontakten nach Übersee, dem Handel oder dem Aufbau eines Weltreichs.

Dafür bedarf es natürlich einiger Voraussetzungen: der Wassergraben um die Landesgrenzen ist nicht nur eine Barriere für Eindringlinge, sondern auch für die Inselbewohner selbst. Ohne eine starke Flotte geht nichts. Doch eine Aufrüstung zur größten Seemacht der Welt wird nicht von allen entspannt hingenommen. Andere Seeanrainer grätschen ein. Mit Spanien, den Niederlanden und Frankreich lieferte sich die britische Flotte immer wieder Gefechte um die Vormachtstellung auf See. An Ausrüstung und Personal mangelte es nicht. Was noch fehlte, war eine funktionstüchtige Beschwörungsformel für die selbsterfüllende Prophezeiung.

Das Jahr 1740 brachte frischen Wind in die Sache. Am 1. August lud der Prince of Wales auf seinen Landsitz zur Geburtstagsfeier seiner dreijährigen Tochter ein. Als Unterhaltungsprogramm wurde ein Musical über König Alfred den Großen dargeboten, der England im 9. Jahrhundert gegen die Wikinger verteidigt hatte. Der Schluss-Song pries die Entstehungsgeschichte der Insel – von Engeln aus den Wassern gehoben und mit einer klaren Direktive versehen: "Rule, Britannia! Britannia rule the waves!" Möge Britannia die Wellen regieren! Briten werden niemals Sklaven sein!

Alternative Nationalhymne

Ob diese Beschwörung schuld war, dass das Erwünschte eintrat, lässt sich kaum klären. Jedenfalls entwickelte sich Großbritannien von da an bis zum Ende des 19.Jahrhunderts zur vorherrschenden Seemacht, gefeit gegen jegliche Übernahmeversuche ausländischer Tyrannen. "Rule, Britannia" wurde zur heimlichen Nationalhymne. Jedes Jahr zum Abschluss der legendären "Proms", der Londoner Sommerkonzerte, singen zigtausende Besucher das Lied zu den Klängen des Orchesters.

Dass die fahnenschwenkenden, mit Inbrunst intonierenden Massen anderen Nationen ein Dorn im Auge sein könnten, bereitete der Obrigkeit dann doch Kopfzerbrechen. 1969 beschloss die BBC, staatliche Rundfunkanstalt und Veranstalterin der "Proms", das Lied vorsichtshalber nicht mehr zu spielen. Prompt schossen die Zeitungen aus allen Rohren Protest. "Sollen wir uns wegen unserer nationalen Exzentrizität jetzt schämen?" empörte sich der "Guardian". Der "Daily Express" forderte: "Nichts ist gegen die Liebe zum eigenen Land einzuwenden; und wenn die BBC anders denkt, sollte sie das Wort ´British´ aus ihrem Namen löschen." Ein weiterer Versuch, das Lied wegzulassen, scheiterte im Jahr 2006. Es gewann immer wieder Oberwasser. Bis heute singen die Briten unverdrossen ihre inoffizielle Hymne –man könnte wohl auch sagen: den dienstältesten Popsong der Welt.


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