Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. April 1898 Intelligentester Mensch aller Zeiten geboren

Mit drei Jahren lernte er Latein, mit vier sprach er fließend Griechisch, und so sollte es weitergehen. Seine Eltern fanden das völlig in Ordnung. Am 1. April 1898 wurde das Wunderkind William Sidis geboren, vielleicht der intelligenteste Mensch aller Zeiten. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 01.04.2015 | Archiv

01 April

Mittwoch, 01. April 2015

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Frank Halbach

Was soll man davon halten, wenn der eigene Sohn mit drei Jahren Lateinisch lernt und im Jahr drauf schon fließend Griechisch spricht? Wenn der Knabe mit 18 Monaten die "New York Times" liest und als Dreijähriger auf der Schreibmaschine Briefe schreibt, um Spielzeug zu bestellen? Die Eltern des kleinen William Sidis dachten, das sei ganz normal. Boris und Sarah Sidis waren studierte Leute, Psychologen, er ein berühmter Harvard-Professor, sie hatte am 1. April 1898 den kleinen William zur Welt gebracht, und da war er nun und stellte wissbegierige Fragen, wie das Kinder so tun, und die Eltern, anstatt ihm zu bedeuten, für sowas sei er doch noch viel zu klein, brachten ihm bei, dass neugierig sein großartig ist und Lernen Spaß macht und dass es aber besser sei, selber nachzuschlagen und nachzudenken anstatt sich auf die Antworten irgendwelcher Erwachsener zu verlassen.

Und so lernte der kleine William mit 12 Monaten lesen, und mit fünf Jahren sprach er Russisch und Französisch und kletterte den Erwachsenen auf den Schoß und sagte ihnen, auf welchen Wochentag ihr Geburtsdatum fiel. Das hatte er sich aus einem Buch seines Vaters abgeguckt. Überhaupt lernte er fast alles, was er wusste, aus Büchern seines Vaters, er hatte ein fotografisches Gedächtnis, und was er nicht in den Büchern fand, das reimte er sich zusammen und schrieb es auf. Mit acht hatte der kleine Sidis schon vier wissenschaftliche Abhandlungen verfasst.

Da wird Daddy aber staunen

Mit neun lehnte das Harvard College ihn ab, er sei noch ein Kind, hieß es, das ginge nicht. Zwei Jahre später nahmen sie ihn dann doch. Sidis war der jüngste Student, den sie je auf Harvard hatten, und die Professoren staunten nicht schlecht, als das Kind zu ihnen von vierdimenisonalen Körpern und dem Euklidischen Theorem sprach. Natürlich wurde auch die Presse auf den Wunderknaben aufmerksam. Aber: Die Journalisten bewunderten den Dreikäsehoch nicht nur, sie wunderten sich auch. Wieso war der so schlau?
Hatten ihn die Eltern im Kleinkindalter gewissermaßen dressiert?
Zum Lernen gezwungen? Nein, berichtet seine Mutter.

So wie andere Kinder spielten, las der kleine William von sich aus und lernte und freute sich, wenn er seine Eltern mit neuen Kenntnissen überraschen konnte.
"Da wird Daddy aber staunen", rief er, wenn er wieder was gelernt hatte.

Der Klügste war er nicht

Mit 16 war William Sidis mit Harvard fertig, und da stellte sich nun leider heraus, dass in den Büchern seines Daddy alles Mögliche dringestanden hatte, nur nicht: wie man es anstellen muss, ein erfolgreiches Leben zu führen. William Sidis merkte bald: Das haute nicht so recht hin bei ihm. Auf seine Schüler wirkte er arrogant, mit Mädels hatte er's gar nicht, auf Geld und Titel legte er keinen Wert. Was er in seinem Leben tun wollte, war exakt das, was er als Kind schon immer getan hatte: Fachbücher lesen. Und so ließ William Sidis alle lukrativen Lehraufträge sausen, zog in eine andere Stadt und nahm dort schlecht bezahlte Arbeiten an, um seine Freizeit in Bibliotheken verbringen zu können. Hier studierte er Mathematik und Astronomie, Politik und Geschichte, und schrieb Bücher,
die er niemandem zeigte.

Dummerweise hat man den armen Sidis das alles nicht in Ruhe tun lassen. Zeitungsjournalisten waren ihm ständig auf den Fersen. Sie verstanden ihn nicht. Er war ihnen suspekt, und sobald ihn einer aufspürte, schrieb der wieder einen dieser schadenfrohen Artikel: "Ehemaliges Wunderkind lebt als Hilfsmechaniker." Sidis klagte gegen die Journalisten, und wo immer einer ihn entdeckte, kündigte er sofort und zog in eine andere Stadt. Alles, was er wollte, war: sein eigenes, kleines, abgeschottetes Wissenschaftlerleben zu führen. Aber es gelang ihm nicht. Mit 46 Jahren starb William Sidis an einer Gehirnblutung. Er mag vielleicht der intelligenteste Mensch gewesen sein, der je gelebt hatte.
Aber der klügste - war er wohl nicht.


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