Bayern 2 - Hörspiel


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Herbert Kapfer Wahrheit als Übertreibung

Published at: 14-6-2012

Uwe Dick  | Bild: Rainer Schüll

"Ja, manche Wahrheiten setzen sich sogar nur noch als Übertreibungen durch" – fast wie eine Erwiderung mutet diese, etliche Jahrzehnte später formulierte Bemerkung in Uwe Dicks Sauwaldprosa an. Dem "Leben als Betrieb" entflohen, trennt ihr Verfasser "längst nicht mehr" zwischen Drinnen und Draußen. Entsprechend "blitzartig" vermag er deshalb die "Fronten des Geschehens" zu wechseln. "Selbstredend regiert der Erzähler! Stoff? Gehört in die Romanufaktur." Auch wenn sich Dick nicht erklärtermaßen auf Carl Einstein bezieht, sondern lieber auf Spuren zu Jean Paul, Alfred Kubin, Karl Kraus, Arno Schmidt, Ezra Pound u.a. verweist, so verweigert auch er – wie Einstein – das "Fraternisieren mit der Leserschaft" und versieht sogleich den Begriff "Leserschaft" mit der Anmerkung: "Eine Verallgemeinerung, die ich nur verwende, um fußnotieren zu können, daß ich das Wort Zielgruppe nicht mehr hören mag." Zuerst einmal schriebe er für sich und für Menschen, die das Gleiche oder zumindest Ähnliches suchten wie er selbst. "Hundert Jahre hin, tausend Jahre her! Es ist so reichlich Annodazumal noch nicht zu Ende geworden; auch in mir, einem Kollektiv von Personen verschiedener Jahrhunderte. Hei, wie sie mitmischen in meinen Tag- und Nachtträumen, in meinen Anschauungen, meinem Denken, in all meinen Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen, die keinen Einwand abgeben dürfen gegen einen Menschen."

Spiel der sogenannten Wirklichkeit

Als ein "Denken in Stimmen" bezeichnet Dick seine Art des Schreibens – nicht nur deshalb bietet sich eine akustische Umsetzung, eine Hörspielfassung der Sauwaldprosa an. Es ist ein Glücksfall, dass Michael Lentz, der das Werk Uwe Dicks kennt wie kaum ein anderer, bei dieser Produktion Regie führen konnte – und dies selbstredend in engem Austausch mit dem Autor der Sauwaldprosa, der neben Marisa Burger, Eisi Gulp, Hanns Zischler, Peter Fricke und Sophia Siebert auch als Mitwirkender im Hörspiel zu hören sein wird.

"Mit der ersten Sauwaldiana von 1976", schreibt Lentz, "beginnt das Lebensprojekt von Uwe Dick, die Sauwaldprosa, die von ihm mehrfach erweitert worden ist. So zum Beispiel 1978 um ein Fußnotenmurki zur Huldigung Jean Pauls 2001 um Pochwasser. 'Drobem überm unterm Inn, südlich der Nibelungenstraße also, nördlich der Sonnentore, dort ist mein Arkadien, der Sauwald', zeichnet der Ich-Erzähler den topographischen Grundriss einer Gegend zwischen Passau, Kopfing und Schärding im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet. Deren sprichwörtliche Er-Fahrung steigert sich 'kraft innerer Gesichte' alsbald zu einer 'Sauwald-Odyssee', die in der 'großen Passauer Sauwaldkadenz' eines 'Solisten' am Biergarten-Nebentisch gipfelt. Dessen 'Sauwald'-Vision weist deutliche Affinitäten zu den Prophezeiungen des Mühlhiasl, dem Propheten aus dem (niederbayerischen) Wald und dem Weltengericht im Muspilli auf: Der ‚Sauwald‘ weitet und verwandelt sich zu 'Seelen-Landschaften', das 'seltsam traumhafte Spiel der sogenannten Wirklichkeit' vermischt sich mit den Realitäten des Vorgestellten, Erinnerten."

Bleibt nur noch anzumerken, daß unabhängig von allen Bemühungen sich am "idealen Leser" zu orientieren und den Literaturbetrieb beharrlich zu ignorieren, es Uwe Dick – im Gegensatz zu Carl Einstein – gelungen ist, ein beachtliches Publikum für sich zu gewinnen. Die Literaturkritik dagegen, ja, sie könnte ihn noch entdecken.

Herbert Kapfer


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