Bayern 2 - Hörspiel


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Hermann Broch 1918 – Huguenau oder die Sachlichkeit

Stand: 11.12.2013 | Archiv

Hermann Broch | Bild: BR/picture-alliance/dpa

"Auf der Suche nach dem ‚Polyhistorischen Roman’, der Spiegel und zugleich auch Deutung seiner Epoche sein sollte, greift Hermann Broch in den Schlafwandlern – und insbesondere im Huguenau – auf ein Netz von symbolischen Bezügen und Verweisen zurück, das zugleich die Auflösung des traditionellen Erzählens bewirkt: Lieder, Sonettfolgen, dramatische Auftritte, Einlagen essayistischer und novellistischer Art, Briefe, sogar Geschäftsverträge und Rechnungen. Der Haupterzählstrang des Huguenau wird immer wieder gesprengt; durch eingefügte parallele Plots unterbrochen, die zum einen das Thema Einsamkeit durch Orientierungslosigkeit bzw. Verlust des eigenen Wertesystems variieren oder aber Teile eines geschichtsphilosophischen Exkurses unter dem Titel Der Zerfall der Werte sind." Klaus Buhlert

Im dritten Teil der Schlafwandler-Trilogie wird Wilhelm Huguenau, ein erfolgreicher Handelsvertreter, zum Wehrdienst eingezogen und endet schließlich als Infanterist an der belgischen Front. Vom Militärdienst an seine dröge und sinnlose Schulzeit erinnert, dauert es nicht lange, bis Huguenau Ende des Ersten Weltkriegs desertiert und zurück nach Deutschland flüchtet. Deserteur Huguenau schlägt sich mit protestantischer Sachlichkeit durchs Hinterland, er entgeht mit Schläue der Verhaftung und erreicht schließlich ein kleines Moselstädtchen. Hier trifft er sowohl auf den hiesigen Stadtkommandanten Joachim von Pasenow, als auch auf August Esch, den Herausgeber der Lokalzeitung Kurtrierscher Bote. Unter dem Motto „Zweck hat, was mir selber nützt!“ erschwindelt sich Huguenau erst den Besitz am Kurtrierschen Boten, um dann später bei den Militärbehörden gegen den geprellten Esch zu intrigieren. Anfang November 1918 erreicht der Krieg und damit das Chaos auch die kleine Stadt. Während einer Gefangenen-Revolte wird Major von Pasenow schwer verletzt. Huguenau bewerkstelligt es, sich in den Wirrnissen dieser Nacht Esch vom Leibe zu schaffen und anschließend ins sichere Hinterland zu flüchten. Wieder daheim in Colmar heiratet er mit erschwindeltem Geld, entledigt sich der Zeitung und führt das erfolgreiche väterliche Geschäft weiter.

"Huguenau oder die Sachlichkeit ist der dritte und markanteste Teil der Schlafwandler-Trilogie von Hermann Broch, die nun vollständig vom BR als Hörspiel realisiert wurde. Damit wird einem wenig bekannten, aber hochspannenden Stoff Aufmerksamkeit geschenkt, dessen Autor noch immer als Geheimtipp gilt. Sein Protagonist Huguenau wird zum Prototyp der Nachkriegszeit und der entstehenden Moderne, aber zu einem ganz kugelrundlebendigen. Eine bemerkenswert fiese Figur, an der man doch neugierig dran bleibt, wenn sie als Schleichhändler und prima Kapitalplatzierer aus den Wirren der Nachkriegszeit und dem allgemeinen Wertezerfall Profit schlägt. Im Hörspiel wird Huguenau herrlich trocken gesprochen von Samuel Finzi; ohnehin ist die Besetzung herausragend: In weiteren Rollen sind unter anderem Peter Kurth, Hanns Zischler, Jens Harzer, Milan Peschel und Wolfram Koch zu hören. Klaus Buhlerts Inszenierung ist ebenso schlicht wie markant, der Einsatz von (Marsch-)Musik ist klar gesetzt und pointiert. Ein insgesamt überzeugendes Projekt, das von einer noch heute wirkmächtigen Zeit erzählt." Jurybegründung zum Hörspiel des Monats April 2009

Hermann Broch: Die Schlafwandler - 1918 Huguenau oder die Sachlichkeit

Mit Peter Kurth, Samuel Finzi, Hanns Zischler, Werner Wölbern, Jens Harzer, Cristin König, Jürgen Holtz, Milan Peschel, Bernhard Schütz, Manfred Zapatka, Wolfram Koch, Sabine Orléans, Jeanette Spassova, Felix von Manteuffel u.a.

Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert
BR 2009 | Hörspiel Pool Download


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