Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Nicht kleinzukriegen Vom Leben und Überleben der Riesen

Mit realen Riesen-Erfahrungen erklärte man sich in Mythen und Sagen die Welt: Als die Erde noch weich und glatt war, hinterließen die Fußstapfen der schweren Riesen Berge und Täler ... Und wenn die Riesen Kegel schieben, hören wir Donnergrollen, Donnerschläge ... Ihre Kugeln sind aus Eisen, aus Fels, aus Gold. Sie schmeißen mit Felskugeln und hinterlassen Felsenmeere, sie werfen mit goldenen Kugeln nach der Sonnenscheibe und durchlöchern den Himmel. Aus diesen Löchern, den Sternen, sieht man das Licht des inneren Himmels ...

Von: Henrike Leonhardt

Stand: 15.02.2014 | Archiv

Grüne Riesenfüße aus der Figurengruppe "Reisende Riesen im Wind" (Sylt) | Bild: picture-alliance/dpa

"Als die Menschen die Erde urbar und sich untertan machten, war kein Platz mehr für die raumeinnehmenden Riesen. Die zogen sich zurück, wurden verdrängt in unzugängliche, unheimliche Regionen, Schluchten, Gebirge, Abgründe, Urwälder. Regionen, die jeder Ökonomisierung trotzten – dort, wo das Menschenfeindliche, das Böse hauste."

(Henrike Leonhardt)

Zwerge gibt's massenhaft, überall. Aber Riesen? Zwerge leben in expandierenden Großfamilien - Riesen sind eher Einzelgänger. Ihr Lebensraum, wilde Wälder, Schluchten, Gebirge verschwinden, da ist nur noch für Riesen-Kleinfamilien Platz. Auch haben die alten Riesen aus Erfahrung gelernt, sich nicht offen zu zeigen: Was groß ist und zottig und fremd, wird nach einem Riesenspektakel zum Riesenproblem erklärt und jagdeifrig eliminiert. Was müssen sie nicht alles hinnehmen! Dass rohe Menschlein ihren Namen missbrauchen, obendrein in ungezügelter Orthographie (Riesen-Burger, Riesenarschloch, Riesen Restposten, Megariesen Plüschbär), trifft sie tief und so verletzend, wie einst den Goliath des Davids Schleuder-Kiesel.

Der "Riese vom Tegernsee" erlangte traurige Berühmtheit

Skelett und Kopfnachbildung von Thomas Hasler, dem "Riesen vom Tegernsee"

Manche Riesen versteinern, so der wilde Watzmann oder die Frau Hütt. Noch dulden sie einzeln, die Riesen, überlassen den Aufstand den Zwergen; noch hält der Titan Atlas den Himmel, dass der nicht auf die Erde fällt. Schon aber hören wir von Riesen-Schlammlawinen, Riesen-Flutwellen, Riesen-Wirbelwinden - das altbekannte bisschen Einatmen, Umpusten und Beinchenausreißen ihres Riesenspielzeugs Mensch war dagegen nur ein sagen- und märchenhafter Riesenspaß. Eher traurige Berühmtheit erlangte Thomas Hasler, der "Riese vom Tegernsee", 1851 geboren, 2 Meter 35 groß, 155 Kilo schwer, bis heute der größte Mann Bayerns. Er konnte umgekippte Fuhrwerke ganz allein wieder aufrichten, litt jedoch aufgrund seines Riesenwuchses zunehmend Schmerzen und wurde nur 25 Jahre alt …

Löste ein Hufschlag auf den Kopf das Riesenwachstum aus?

Nachbildung des Kopfes von Thomas Hasler

Er kam aus einer sehr kinderreichen Familie, wuchs unter sehr ärmlichen Verhältnissen auf ... Auf dem Grundnerhof in Holz zwischen Gmund und Wiessee, nahe dem Gut Kaltenbrunn, wo heute eine Riesenhotelanlage geplant ist ... Ganz normale arme Kleinbauern waren die Haslers, und der Thomas ein normalwüchsiger aufgeweckter Junge. Die Kinder halfen mit, und wenn es mal nichts zu tun gab, dann hatten sie Platz, sich auszutoben. Und in der Schule und beim Pfarrer lernten sie, was man so lernte und was man so brauchen würde für ein gottesfürchtiges Leben als Holzer, als Knecht, vielleicht als Soldat ... Thomerl mag die Gänse gehütet haben, und die Ochsen eingespannt fürs Baumschleifen, vielleicht war er pferdenarrisch, und wenn jemand den Kleinen packte und auf ein Ross setzte, dann war das das Höchste, dann hat er gejuchzt! Und wenn er sich allein oben halten konnte und das Ross ausschlug, sich aufbäumte und er droben blieb, dann hatte er einen Riesenspaß! ... Und dann – das Verhängnis! - ein Schlag, ein Hufschlag an den Kopf. Das Chaos im Kopf, im Körper ... da begann er zu wachsen, erzählte man, hörte nicht auf zu wachsen ... Viel mehr wissen wir nicht über ihn.


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