Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Filmstadt München Willkommen in Mollywood

"Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen", fordern ein paar zornige junge Filmemacher vor 50 Jahren im "Oberhausener Manifest". Drei der Unterzeichner, Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni, kommen von der Isar.

Author: Markus Metz und Georg Seeßlen

Published at: 25-2-2012 | Archiv

Filmszenen in einem Filmstreifen vor der Silhouette Münchens | Bild: BR, picture-alliance/dpa, BR/Stephen Power, BR/balance-film; Montage: BR

"Das absolute Wunder der Großstadt" - so erlebt der junge Edgar Reitz München, als er in den 50er-Jahren aus Morbach im Hunsrück an die Isar zieht, um dies und das zu studieren - Kunst, Theater, Germanistik, Publizistik. Worum es ihm eigentlich geht: Filme machen. Und: München. "Man kann eine Stadt durch die Bilder, die man zeigt, regelrecht erobern, in Besitz nehmen." München lässt es sich gefallen. Und der deutsche Film hat es bitter nötig.

"Keine Experimente!"

1955 werden in Deutschland 128 Spielfilme gedreht. 1966 sind es noch 60. Schuld an der Kinokrise ist nicht nur der Siegeszug des Pantoffelkinos, das 1960 in vier Millionen deutschen Wohnzimmern steht. Es ist auch die Pantoffeligkeit der Filme, in denen noch Mitte der 60er-Jahre geschlagert, geschmachtet und geförstert wird, als wären die 50er-Jahre nie zu Ende gegangen. Dass viele der Produzenten und Akteure schon zu Goebbels' Zeit für Unterhaltung sorgten, macht das Geschehen auf der Leinwand nicht besser.

Dabei brodelt das Filmland BRD vor Tatendrang und Bilderlust: Dutzende junger Filmemacher drehen zu dieser Zeit innovative Kurzfilme - als Privatvergnügen und/oder im Auftrag der Industrie. "Baumwolle", "Geschwindigkeit" und "Binnenschiffahrt" heißen in den frühen 60ern die Arbeiten von Edgar Reitz. Möglich macht das eine weitere Erfindung aus dem Hause ARRI: Ein neuer Typus von Handkameras. Sie sind billig, beweglich und machen teure Studiobeleuchtung überflüssig. Unbeweglich indes sind die alten Produzenten, die das Geld für Abendfüllendes unter sich aufteilen.

1962: Die Stunde Null des deutschen Films

"Papas Kino ist tot": Mit diesem Schlachtruf erklären die zornigen jungen Kamera-Männer dem Zelluloid-Establishment auf den Oberhausener Kurzfilmtagen 1962 den Krieg. "Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Film zu schaffen", verkündet ihr Manifest. Engagiert soll er sein, frei von Kommerz und filmischen Konventionen.

Oberhausen aber ist Theorie und nicht gerade "the place to be". Der Urknall kommt 1966, als in Cannes, Venedig und Berlin vier deutsche Produktionen ausgezeichnet werden. Drei der Regisseure sind Münchner; wenigstens in diesem Augenblick der Filmgeschichte.

Wie Edgar Reitz ist Peter Schamoni Mitte der 50er an die Isar gezogen. Alexander Kluge pendelt zwischen München und Ulm, wo er mit Reitz die Filmabteilung der Hochschule für Gestaltung aufbaut. Jean-Marie Straub ist vor dem Algerienkrieg nach München geflohen. Jung, hungrig und seit '66 dabei sind Werner Herzog und Rainer Werner Fassbinder. Drei weitere Helden der Stunde: Rudolf Thome, Klaus Lemke, May Spils.

Die Kraft der zwei Uschis

Zwei "Mollywood"-Filme vor allem sind es, die das Münchner Lebensgefühl der 60er zwischen Dackeltum und Schwabinger Krawallen, Nachkriegsgrau und Pop-Appeal, Monopteros und Polit-Kommune auf den Punkt bringen: "Zur Sache, Schätzchen" von May Spils, der mit 6,5 Millionen Zuschauern lange erfolgreichste "junge deutsche Film", und Rudolf Thomes "Rote Sonne".

Bei Spils passiert wenig, das aber reich garniert mit Auto- und Kamerafahrten durch München, sexy Hauptdarstellern und legendär lakonischen Dialogen ("Es wird böse enden"). Bei Thome passiert Unerhörtes: Vier reizende böse Mädchen morden Männer - ein feministischer Horrortrip zwischen Stachus und Starnberger See.

Beide Filme machen Furore. Ihr Treibmittel sind frische Bilder, ein rebellischer Gestus und "Uschikraft": May Spils kuppelt ihren Partner Werner Enke filmisch mit "Abahatschi" Uschi Glas zusammen. Thome verschafft Uschi Obermaier die Rolle ihres Lebens - Mick Jaggers bayerisches Groupie wohnt ein Stockwerk über ihm in der Klopstockstraße.

Mollywoods Glück und Ende

Eine "Münchner Schule" entsteht aus diesem "Klopstockerlebnis" nicht; auch nicht, als drei Münchner Filmemacher eine Art Gegenmanifest zu Oberhausen formulieren und das neu gegründete "Kuratorium Junger Deutscher Film" nach Kräften fördert. Zu disparat ist die Schar der Formrebellen, Dokufilmer, Visionäre, Politaktivisten und coolen Kindsköpfe, die die Gunst der Stunde an einem Ort zusammengeführt hat. Vielleicht, mutmaßt Reitz, haben sie zu viel gewollt und zu wenig erzählt. May Spils bleibt weitere Großtaten schuldig, Lemke ein Provokateur, Kluge vor allem klug. Viele arbeiten nur noch fürs Fernsehen oder verlassen München - Thome geradezu fluchtartig: "Ich war pleite. Zu viele Gerichtsvollzieher waren hinter mir her. Den letzten Film habe ich ohne einen Pfennig Geld gedreht."

Die zweite Zündstufe der neuen Münchner Freiheit ist dann schon eine Schwundstufe: Zurück bleiben hoffnungsvolle Schauspieltalente - Iris Berben, Hannelore Elsner, Gottfried John -, der "Filmverlag der Autoren" und die späte Rache der Kinoväter: die erbärmlich erfolgreiche Serie "Schulmädchenreport". Die 70er gehören mit Fassbinder und Herzog zwei genialischen Einzeltätern.

Eine Nachblüte erfährt Mollywood 1980 in Edgar Reitz' "zweiter Heimat". Sie macht noch einmal sichtbar, was Klaus Eder so formuliert: "Damals war es so schön offen hier in München".


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