Kulturgeschichte des Tätowierens in Bayern Das große Stechen
Tattoos in allen Farben und Stilen: Womit sich einst nur Mitglieder von Naturvölkern und Repräsentanten sozialer Schichten mit fragwürdigem Leumund schmückten, ist heute allgemein gesellschaftsfähig. Mit Tätowierungen zieren sich sowohl Prominente als auch gewöhnliche Zeigenossen. Auch in Bayern. Thomas Grasberger liefert für diese These "stichhaltige" Argumente.
Vor gar nicht langer Zeit galten eingeritzte Bildchen auf der Haut als Stigmata von Verbrechern, Taugenichtsen und Freaks. Höchstens im Varieté oder im Zirkus konnten großflächig Tätowierte als vielbestaunte Attraktionen publikumswirksam herumgereicht werden. Tätowierungen waren Randgruppen vorbehalten, von der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft wurden sie eher missbilligt, ja nicht selten geächtet.
Quer durch alle Bevölkerungsschichten
Das hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten kräftig verändert, was vor allem in der wärmeren Jahreszeit leicht zu beobachten ist, wenn die Erzeugnisse der Tätowier-Stuben auf zahlreichen entblößten Armen, Beinen und anderen Körperteilen nach Bewunderung gieren. Vom Friseur-Azubi bis zum Banker, vom trendigen Jung-Journalisten bis zum Alt-Rocker, von der Ex-Bundespräsidenten-Gattin bis zum Bundesliga-Profi - Tattoos sind in.
Tattoo-Impressionen aus aller Welt
Die Motiv-Wahl folgt modischen Trends
Zehn Prozent der Deutschen sind heute tätowiert, bei den unter 30-Jährigen trägt sogar jeder Vierte mehr oder weniger gelungene Kunstwerke auf bzw. unter der Haut. Und selbst die bayerische Tourismusindustrie warb jüngst mit einem jungen Einheimischen, der nicht nur einen langen, roten Bart trägt, sondern auch den Oberkörper voller Tätowierungen hat. Und der Trend hält an, auch wenn die Motive, die gerade angesagt sind, einem schnellen Wandel unterworfen sind.
"Du kannst mittlerweile, wennsd oan lauffa siehgst, kannst sagen, wann a des tätowiert hat. Weil des alles Epochen san. Ob des jetzt die Wikingerzeit war, oder die Indianerzeit, oder bloss die roten Teufel mit de Wasserköpf. Da stichst du die Dinger am Tag fünf Stück. Mit dem Arschgeweih ist es das Gleiche. Koana will's mehr hamm. Aber es kommen halt viele, die haben eine Monsterschoaswiesn, das ist dann kein Arschgeweih, das wird dann schon ein Elchgeweih. Das sind dann schon gewaltige Dinger. Des ist ja ganz klar, wenn jetzt da eine Dame reinkommt mit fünf Zentner. Die hat am Strand ein Madl laufen sehen mit einem Arschgeweih, die vielleicht 45 Kilo ghabt hat. Des braucht sie aa, weil dann schaut sie aa so aus! - I sog dann: Du, mach irgendwas anderes, aber mach des ned! - Na, des müssens dann haben. So sicher wie das Amen in der Kirche. - Da kannst auch dann nichts ändern."
(Peter Laubach, 'Rainbow Tattoo'-Studio, München)
Das "Arschgeweih" ist endgültig out
Was unlängst noch als sexy Tribal im Lendenwirbelbereich gehandelt wurde, erntet heute als "Arschgeweih" nur noch Hohn und Spott. Ungebrochen aber bleibt die Jahrtausende alte Faszination, den eigenen Körper mit schmerzhaften Nadelstichen dauerhaft zu verzieren. Was im 19. Jahrhundert nicht nur Seeleute, Strafgefangene und Arbeiter schmückte, sondern auch weite Teile des europäischen Hochadels, gehört heute zum ganz alltäglichen Straßenbild. - Thomas Grasberger hat sich umgesehen in der Welt der bayerischen Tätowierten und Tätowierer und ist dabei auf ziemlich bunte Vögel gestoßen.
Stefan Fischer - Von Kopf bis Fuß auf Tusche eingestellt
Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man sagt, dass Stefan Fischer ein bairisch-polynesisches Gesamtkunstwerk ist. Mit seinem rötlichen Vollbart und den großflächigen blauen Tattoos im Stil der Marquesas-Inseln, schaut Stefan aus, als wäre er gerade mit Captain Cook aus der Südsee zurück gekehrt. Der edle Wilde aus Grafing sozusagen. Für ihn hat sein tätowierter Ganz-Körper-Anzug keine tiefere Botschaft. Das ist reiner Schmuck, sagt er. Und auf den Marquesas war er auch noch nie. Dafür hat er sich ganz ausführlich mit der Geschichte der Tätowierung beschäftigt, hat alles gelesen, was es dazu gibt.
Ausschlaggebend für Stefan war ein ganz bestimmtes Buch: "Die Marquesaner und ihre Kunst" - ein ethnologisches Werk aus dem Jahr 1925, verfasst von dem deutschen Forschungsreisenden Karl von den Steinen.
"Mit Dreißig, wo ich das erste Mal diese Sachen von den Marquesas gesehen hab und über dieses Buch gestolpert bin, da hab ich gewusst: Genau, das ist es. Und da war gleich auf der zweiten, dritten Seite so ein DIN A4-Bild drin mit einem Ganzkörperprojekt. Da hab ich sofort gewusst: Das bist du auch irgendwann. Irgendwann bist du so voll, und das machst du. Und dann hab ich das vier Jahre durchgezogen und hab mich da voll tätowieren lassen. Volle Kanne, mit System!"