Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Home is where the art is Der Künstler und sein Zuhause

Nur bei wenigen Menschen sind Leben und Arbeiten so ineinander verschlungen wie bei Künstlern. Joana Ortmann und Hendrik Heinze erkunden den Mythos Künstlerhaus.

Von: Joana Ortmann und Hendrik Heinze

Stand: 20.11.2021 | Archiv

"Ich glaube, das ist die Faszination, einem Künstler so nahe zu kommen wie es selten möglich ist über ein einzelnes Kunstwerk. So in einen geistigen Kosmos einzusteigen, auch sich zu verlieren in einem Raum. Wirklich umfangen zu sein von Kunst, von einer Idee. Auch von einem authentischen Ort, der so viel sagt über eine Persönlichkeit wie kaum irgendetwas anderes. - Man empfindet Künstlerhäuser ja auch immer sehr stark wie eine zweite Haut. Wie eine gebaute Autobiographie."

(Margot Brandlhuber, Kuratorin der Münchner Künstlervilla Stuck)

Die Villa Stuck - Universalkosmos und Lebensgesamtkunstwerk

Das wichtigste Werk von Franz von Stuck? "Medusa" mit dem Schlangenhaupt? Die berühmte "Sünde"? Von wegen. Das wichtigste Werk von Franz von Stuck ist seine Villa in München: Universalkosmos und Lebensgesamtkunstwerk des Künstlerfürsten. Spiegel seiner Kreativität, seines Perfektionismus, seiner Hybris - aber eben auch ganz profan: Atelier und Wohnhaus, Rückzugs- und Lebensraum, Ort des Plätzchenbackens und der Steuererklärung. Wo sonst also könnte man einem Künstler - oder einer Künstlerin - näher kommen als in den vier Wänden, die er - oder sie - sich selbst gebaut, gekauft oder geschaffen hat?!

Das Haus eines Künstlers: Ort der Repräsentation oder privates Statement

Die "Regentag" - Segelschiff von Friedensreich Hundertwasser

Und was dieses Künstlerhaus alles sein kann: Ort der privaten und öffentlichen Repräsentation wie die Villa Stuck. Bunt bemaltes Statement wie Gabriele Münters "Russenhaus" in Murnau. Oder die "Regentag" von Hundertwasser, das umgebaute Schiff, auf dem er zehn Jahre lebte und arbeitete. Oder auch der vergoldete Wohnwagen des Münchner Künstlers Flatz, der lange auf der Museumsinsel stand, dann auch mal auf einem Baum und der jetzt noch mal umgezogen ist, auf das Dach eines anderen Hauses - als Anti-Künstlervilla.

Die Villa von Wolfgang Flatz: "Achtung, Irrenanstalt - betreten auf eigene Gefahr"

Der Dachgarten des Künstlers Wolfgang Flatz

Wolfgang Flatz. Ein Künstler, der seine Arbeit lange definiert hat über die Grenzen, die er übertreten hat. Die Rolle des Provokateurs hat er gespielt und wieder abgelegt. Inzwischen ist er über 60. Kunstprofessor. Ein Arbeiter des Rock’n’Roll, tätowiert und diszipliniert. Zuletzt hat er im Auftrag einer Immobilienfirma ein altes Fabrikgelände umgebaut, in München-Sendling. Und ist gleich selbst aufs Dach gezogen, sechster Stock, siebter Himmel, die neue Villa Flatz. "Zutritt nur für VIPs" steht an der Gittertür. Und: "Achtung, Irrenanstalt. betreten auf eigene Gefahr." Hinter der Tür wird’s dann wirklich: Irre. Eine Loft-Landschaft. Dazu ein Dachgarten, dreigeschossig, größer als 12 Tennisplätze und mit so vielen Skulpturen, dass Flatz‘ kleiner Terrier gar nicht weiß, wo er zuerst hinpinkeln soll.

Von Schwabing an den Lech: Der Maler Ernst Heckelmann

Der Maler Ernst Heckelmann vor einem seiner Werke

Weites Land, grasweiden- und laubbaumgrün. Der Lech, breit, von ungeahntem wasserblau und direkt aus den Alpen. Schwäne putzen ihr Gefieder. Am Ufer des Flusses eine alte Ölmühle. Und ein Flösserhäuschen. Hier waren früher Fässer über die vielen Wasserläufe gespannt, mit Lehmbrocken darin. Die Fässer drehten sich im Wasser, aus den Klumpen wurden Rosenkranzkugeln. Auch heute entsteht an diesem Ort Besonderes: Bilder zwischen Landschaftsmalerei und Action Painting, vom Maler Ernst Heckelmann auf krumm abgeschnittene Papierbahnen geschleudert, mit großer expressiver Geste und dickem Pinsel. Bergbilder und Bilderberge, schattenblau, schneeweiß und himmelkratzend hoch. Und wenn ihm der Berg noch nicht Berg genug ist, taucht Heckelmann auch mal einen Hexenbesen in die Farbe. Schon sein Vater hat hier gemalt, Schwabinger Bohemien und Künstler, der hier draußen sein Holzhack- und Angelparadies gefunden hatte, sein eigenes Klein-Kanada. Sein altes Arbeitszimmer ist bis heute das Herz des Hauses, hier kniet Ernst Heckelmann vor dem Kamin, Reisig und Streichhölzer in der Hand.

Ernst Heckelmann und seine fernen Gipfel

Buchtipp:

Im Tempel des Ich. Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk.
Europa und Amerika 1800-1948


  • Autor: (Hrsg.) Margot Th. Brandlhuber
  • Autor: (Hrsg.) Michael Buhrs
  • Gebundene Ausgabe: 367 Seiten
  • Verlag: Hatje Cantz Verlag
  • Auflage: 1 (22. November 2013)

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