„Biete Violine, suche Heizplatte“ Kleinanzeigen in den ersten „Süddeutschen Zeitungen“ 1945
Henrike Leonhardt hat die Kleinanzeigen in den ersten Ausgaben der "Süddeutschen Zeitung" studiert, die im Herbst 1945 erschienen sind. Entstanden ist ein Puzzle des Überlebensalltags in der Trümmerzeit nach dem 2. Weltkrieg.
Nach dem Krieg. Der Frieden war da, - war sichtbar, seit die Verdunkelung aufgehoben wurde. Auch das Erscheinen einer von Deutschen für Deutsche edierten relativ unabhängigen Zeitung war ein Friedenszeichen. Die Nummer 1 der mit amerikanischer Lizenz herausgegebenen Süddeutschen Zeitung gab es am 6. Oktober 1945. "München leuchtete" zwar noch nicht wieder, aber es wurde erleuchtet. SZ Nr 1, Lokalseite:
"München wird allmählich wieder eine Lichterstadt ... Die Militärregierung ordnete am 15. Mai an, daß zunächst die Militärstraßen mit Beleuchtungsanlagen versehen werden sollen. Seither ist München wieder erleuchtet worden."
(Süddeutsche Zeitung 1/1945)
Tauschen war leichter als Kaufen
"Linker Kinderschuh verloren." Oder: "Verloren am 3.12. vormittags zwischen Dietlinden- und Karl-Barerstraße (Lin. 6) grüner Wollhandschuh" - im ersten Nachkriegswinter fast unersetzbare Verluste. Und Weihnachten stand vor der Tür: "Im Miesbacher Omnibus Rucksack verloren. Bitte wenigstens die Stricksachen und die Schuhe zurückgeben, da es sich um Weihnachtsgeschenke handelt." Die alltäglichen Dinge waren rar, Tauschen war leichter als Kaufen - wenn man etwas zum Tauschen besaß.
Der verbotene schwarze Markt
Schwarzhandel - Es gab ihn schon bald, einen neuen Reichtum, der sich vor allem im verbotenen schwarzen Markt zeigte. Wenn 1948 die Währungsreform kommen wird mit dem demokratischen Kopfgeld von 40 DM für jeden, haben einige Grundbesitz und andere garnix. Wie manche Bundesbürger dazu gekommen sind, zeigt eine Real-Satire aus der Zeitschrift "Frischer Wind" von 1946 - "Schwarze Buchhaltung":
"Eine Pferdedecke an einen Bauern für zwei Pfund Butter verkauft. Selbstverbrauch ein Pfund. Ein Pfund für 275, - verkauft. 55 Zigaretten à 5, - eingekauft. 55 Zigaretten à 8, - verkauft. Einnahme 440, -. Ein Pfund Kaffee für 440, - gekauft, Wiederverkauf 600, - ..."
Und so fort. Der Gewinn wird mit Zigaretten- und Kaffeetransaktionen immer höher geschraubt. Da springt auch was für die Freundinnen raus.
Nähmaschinenbesitz war Überlebensgarantie
"Totalfliegergeschädigte Schneidermeisterin sucht Nähmaschine zu kaufen oder zu tauschen gegen Silberbesteck." Nähmaschinenbesitz war Überlebensgarantie. "Gediegene Anfertigung von Kleidern, Mänteln, Anzügen, Kostümen aus mitgebrachten Materialien." Neue Kleidung brauchte jeder - hergestellt aus NS-Fahnen und eingefärbten Uniformstoffen. Aus Alt mach Neu! Grafiker wurden gesucht für die Gestaltung hakenkreuzfreier Briefköpfe, entnazifizierter Vordrucke. Auch Orthopädie-Bandagisten für die Kriegsversehrten. Hautärzte, Dolmetscher, Bauunternehmer priesen ihre Dienste an. Was den Wiederaufbau der weithin zerstörten Städte betraf - "Backsteinputzgeräte" waren gefragt und entsprechende Fachleute, man krempelte die Ärmel auf: "30-40 Maurer, 15-20 Zimmerer u. 20 Betonfacharbeiter für dringende Bauvorhaben gesucht." Auch wer um seinen alten oder neuen Besitzstand fürchtete, fand mit Hilfe einer Anzeige das, was er suchte: "Guter Wachhund, auf den Mann dressiert." Es waren ja nicht wenige solcher Hunde gerade erst arbeitslos geworden ...
Nürnberger Prozess oder Kleinanzeigen?
Hat "man" die SZ (20 Pfennig) damals wegen der Berichte über den Nürnberger Prozess gekauft? Oder wegen der Kleinanzeigen auf der letzten Seite? Die Anzeigen spiegeln den Überlebensalltag. - Henrike Leonhardt zeichnet ein Nachkriegsbild.