Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Ein Riesen-Fußball als Wohnmobil Die Deutschlandreise zweier Arbeitsloser 1932/33

Joseph Berlinger erzählt eine unglaubliche aber wahre Geschichte: Sie handelt von zwei jungen Männern aus Regensburg, die vor rund 80 Jahren eine aberwitzige Idee in die Tat umsetzten, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen und einen Sinn im Leben zu finden. Die Geschichte handelt aber auch von einem Regensburger unserer Tage, der die wunderliche Idee ein zweites Mal Wirklichkeit werden lässt, um damit ein Zeichen zu setzen …

Von: Joseph Berlinger

Stand: 25.05.2013 | Archiv

Von der Stütze zu leben würde sie beschämen. Obwohl sie das Schicksal von Millionen teilen. Denn im Krisenjahr 1932 herrscht Massenarbeitslosigkeit. Aber die beiden Regensburger Jakob Schmid und Franz Perzl wollen nicht auf der Straße stehen. Weil die Straße zum Gehen und zum Fahren da ist, machen sie sich auf den Weg. Sie brechen auf – zu einer der ungewöhnlichsten Reisen, die in Deutschland jemals unternommen wurden. Ein überdimensionaler Fußball von mehr als zwei Metern Durchmesser dient den Sportlern als Wohnmobil. Dieses 600 kg schwere Ungetüm aus Erlenholz zerren sie wie die Ochsen quer durch eine Republik,  die heiß umkämpft ist von Nationalsozialisten und Kommunisten – und die ein Jahr später eine Diktatur sein wird.

Bilder einer ungewöhnlichen Reise

Zusammenbruch nach 3500 Kilometern

Der zerbrochene Riesenfußball

In dieser Zeit des Umbruchs erkunden die zwei Arbeiter aus Bayern Deutschland, schießen Hunderte von Fotos, schreiben Tagebuch, organisieren Fußballspiele, führen ihre Wohnkugel den staunenden Einheimischen vor. Am 14. August 1933, fünfzehn Monate nach dem Start, findet die Reise in der Nähe von Stuttgart ein jähes Ende: Jakob Schmid und Georg Grau, der Perzl abgelöst hat, stehen vor einem Wrack – der Riesenfußball ist auseinandergebrochen.

"Und das Deutschland hat sich so verändert, dass es vagabundierende Sportler nicht mehr brauchen kann."

(Hubertus Wiendl)

"Die Ballonauten" ein "Reenactment" von Hubertus Wiendl

Hubertus Wiendl auf dem nachgebauten Riesenfußball

Die drei Männer und ihre wundersame Walz wären längst vergessen, hätte nicht der freie Fernsehjournalist Hubertus Wiendl ihr Tagebuch in die Hände bekommen und den Wert dieses einzigartigen Dokuments erkannt. Wiendl startete ein großes Projekt, das noch Jahre dauern wird: "Die Ballonauten". Er nennt es ein "Reenactment", hat den Riesenfußball nachgebaut, knüpft ein Netzwerk interessierter Menschen, will junge Leute von heute mit der Kugel erneut auf die Reise schicken, entlang der Route von damals – und darüber hinaus, quer durch Europa. Um ein hochaktuelles Soziogramm erstellen zu lassen, einen Bericht zur Lage der Nation und des Kontinents – in den Zeiten einer neuen Weltwirtschaftskrise und einer neuen Gefahr von rechts.

Die Erinnerung lebendig halten

Den Nazis ging es nur um den kollektiven Sieg. Aber im Deutschland von heute erinnert man sich wieder an Jakob Schmid und Franz Perzl. Das ist ein Verdienst von Hubertus Wiendl. Der eifrig am Netzwerken ist und zur Mitarbeit einlädt. Gerade hat sich ein Mikrobiologe aus Bremen gemeldet, Jason Smith. Der übersetzt die Tagebücher der beiden Abenteurer ins Englische. Und Milo, das größte Magazin für Kraftsport in Amerika, hebt die Ballonauten für ihre sagenhafte Leistung in den Olymp der Athleten.

Das Leben muss vorwärts gelebt werden

Und Hubertus Wiendl übt weiter das Rollen der Holzkugel. Denn bald geht er mit ihr auf große Reise. Im Gedenken an Jakob Schmid, der 1945 in Hitlers bestialischem Weltkrieg bei einem Himmelfahrtskommando verheizt wurde. Und der vielleicht doch Kierkegaard gelesen hat, in der Wochenendbeilage einer Zeitung, unter der Rubrik "Aphorismen": "Es ist ganz richtig, was die Philosophie sagt, dass das Leben nach rückwärts verstanden werden muss. Dabei vergisst man aber den anderen Satz, dass es vorwärts gelebt werden muss."


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