Der Regisseur Edgar Reitz Auf der Suche nach dem Heimat-Bild
Edgar Reitz, geboren am 1. November 1932 im zweitausend Einwohner zählenden Ort Morbach im Hunsrück wuchs in einer ländlichen Welt auf, in der bäuerlicher Fleiß, enge Nachbarschaft und Entbehrung vorherrschten. Als Sohn eines Handwerkers hatte Edgar Reitz nur ein wenig mehr Privilegien, aber vielleicht um das Entscheidende mehr.

"Ich war ja ein Hunsrücker Kind, nicht aus bürgerlichem Milieu, kein Mensch in meiner Familie weit und breit hatte je eine Universität besucht. Wir lebten einfach in einer Volksmentalität, die andere Orientierungen und Verbindungen und auch andere Formen des Stolzes hervorbrachte, z.B. den Stolz des Handwerkers. Mein Vater war Uhrmacher, da gab es zwei Ideologien, würde ich fast sagen: Das eine war die der Selbstständigkeit, niemals der Angestellte von irgendetwas zu sein, und das andere Programm hieß: Ob du deine Arbeit gut machst oder schlecht, das kann nur der Kollege beurteilen. Wenn mein Vater eine Uhr zerlegt und ein Ersatzteil angefertigt hatte, dann machte er ein Geheimzeichen irgendwo in das Innere des Uhrwerks, das war eine Nachricht für den Kollegen, der als nächstes diese Uhr in die Hand bekommt, um zu sehen, wer hat diese Arbeit gemacht. Da hat man einen bestimmten Stolz."
(Edgar Reitz)
Edgar Reitz gehört zu den Begründern des Neuen Deutschen Films. Neben Alexander Kluge gibt es kaum jemanden, der so intensiv an Bildern und Geschichten zur Erinnerung gearbeitet hat. Dabei setzte sich der Regisseur einmal souverän über die Kino-Konventionen hinweg wie in den "Geschichten vom Kübelkind", ein anderes Mal versuchte er, klassisches Erzähl- und Genrekino für seine Anliegen zu erobern - wie etwa mit "Der Schneider von Ulm" oder "Die Reise nach Wien".
Deutsche Geschichte - realistisch und menschlich erzählt
Mit seinem Mehrteiler "Heimat" gelang Edgar Reitz dann ein einzigartiges Meisterstück der audiovisuellen Erzählweise: eine Fernsehserie, die unterschiedliche Stilformen und Techniken zusammen brachte, um ein autobiographisch gefärbtes Panorama der deutschen Geschichte in einer Familie aus einem Hunsrück-Dorf zu entfalten. Mehr als 100 Millionen Zuschauer verzeichneten die Serie und zwei Folgeprojekte in aller Welt, auch im Kino fand die "Heimat" ihr Publikum. Realistischer und menschlicher war deutsche Geschichte vordem nicht erzählt worden. Zugleich geht der Regisseur immer entscheidende Schritte über die bloße Abbildung und den psychologischen Realismus hinaus: "Das Prinzip des Erzählens kann sich mit der Wahrheit nicht zufrieden geben, es will immer über die Wahrheit hinaus, will immer steigern, will immer das schönere, das traurigere oder konsequentere Leben beschreiben.“ In dieser Haltung entstand mit "Heimat", "Die zweite Heimat" und "Heimat 3" etwas, das zugleich Erinnerung und Utopie ist, Geschichte und Traum von Deutschland.
Edgar Reitz’ 80. Geburtstag fällt mitten in die Arbeit an seinem nächsten Heimat-Projekt: Der Kinofilm "Die andere Heimat" versetzt das Hunsrück-Dörfchen in die Mitte des 19. Jahrhunderts. - Ein Porträt des Regisseurs von Markus Metz und Georg Seeßlen.
"Der Atem der epischen Erzählform ist der Atem des Lebens selbst"
"Die Schauspieler sind bei mir keine Akrobaten, die Kunststücke vollführen, sondern die versinken, die fallen in einen anderen Trance-artigen Zustand, der in der Welt dieses Films dann herrscht. Nicht nur, weil sich das chronologisch fortsetzt – wir spielen jetzt ja in einer Zeit ca. 100 Jahre vor 'Heimat 1', um 1840 herum, in einer Zeit, in der keiner von uns gelebt hat, wo wir noch nie waren und wo wir während der Produktion hingekommen sind. D.h. auch für mich ein Trance-artiger Zustand, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu leben mit allen meinen Darstellern zusammen und dem Team zusammen. Da ist so eine Aufmerksamkeit, dass jeder spürt – da höre ich auf einmal den Aufnahmeleiter weit über die Landschaft schreien: ‚Da drüben gehen Menschen aus dem 21. Jahrhundert!’ Der erschrickt und da muss jemand schnell hinfahren und die vertreiben. So ungefähr gelingt das. Das ist auch einer der Vorteile des Epos, weil der Atem der epischen Erzählform ist der Atem des Lebens selbst. Das ist keine dramatisch forcierte Form des Atmens, sondern es ist der Lebensatem, der einen dann trägt und bewegt. Und aus dem heraus wird es, wenn man es spürt, richtig." (Edgar Reitz)