Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Der Klang der NS-Zeit Töne aus München 1933 bis 1945

In der Geschichtswissenschaft wird dem Tondokument zunehmend Bedeutung beigemessen. Das entsprechende Forschungsfeld wird als "Sound History" bezeichnet - als Klanggeschichte. Die Historikerin und Hörfunkautorin Marita Krauss hat sich intensiv mit den überlieferten Originaltönen aus der NS-Zeit beschäftigt und unternimmt am Beispiel von Aufnahmen aus der sogenannten "Hauptstadt der Bewegung" eine akustische Zeitreise, die im wörtlichen wie im übertragenen Sinn viel "Unerhörtes" zum Inhalt hat.

Von: Marita Krauss

Stand: 11.01.2020 | Archiv

Klänge, Töne, Geräusche erscheinen zunächst selbstverständlich und zeitlos. Erst im "Sound" einer vergangenen Epoche entdecken wir das Besondere, das ganz Andere: Klänge ermöglichen Reisen in eine vergangene Gegenwart. So spiegeln besonders Tagesnachrichten, Sportmeldungen oder der Wetterbericht die Nähe und die Ferne vergangener Tage. Sprachführung, Wortwahl und Tempo zeigen Ansager, Reporter oder politische Redner als zutiefst zeitgebunden: Ihr Pathos ist uns fremd und ihr Spott unheimlich. Aber auch unpolitische Töne wie Glocken, Straßenbahnklingeln, Hupen, das Schlagen einer Autotür machen deutlich, dass die ganze Stadt damals anders klang; die Geräusche gehören zu einer versunkenen Zeit. Noch eindeutiger verweisen Marschmusik, Kommandos, Sirenen oder "Heil Hitler"-Rufe auf die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. Allgegenwärtige Radioreporter führen uns vielfach unmittelbar in Situationen hinein, viel anschaulicher als Fotos oder Filme: "Sound" vermittelt dichte Atmosphäre.

Der "Tag der deutschen Kunst"

Münchner Rathaus, Festakt zum "Tag der deutschen Kunst"

Geräusche des Alltags aus den dreißiger und vierziger Jahren sind kaum dokumentiert. Niederschlag fanden vielmehr die außeralltäglichen Ereignisse. Die meisten überlieferten Sounds sind Teil solcher Inszenierungen. Einzig eine Reportage vom Münchner Rathausturm am Abend des "Tages der deutschen Kunst" aus dem Jahr 1939 macht die nächtliche Stadt hörbar: Das Hupen der Autos, die Stundenschläge der umliegenden Kirchtürme. Experimente mit Außenaufnahmen, wie sie ein damaliger Mitarbeiter des "Reichssenders München" unternahm, gingen weitgehend im Rauschen der damaligen Aufnahmetechnik unter.

Pseudoreligiöses Ritual für die Opfer des Hitlerputsches von 1923

Die Bronzesärge mit Gefallenen des Hitlerputsches vom 9.11.1923 in einem der beiden Ehrentempel am Königsplatz in München

Die Münchner NS-Lokalgröße Christian Weber, einer der frühen Gefolgsleute Adolf Hitlers, instruierte 1940 am Vorabend die Mitwirkenden über die Abläufe der zentralen Gedenkfeier zum 8./9. November in München. Dieses pseudoreligiöse Ritual zur Erinnerung an die Opfer des Hitlerputsches von 1923 war genau durchchoreografiert. Am Abend des 8. November hielt Hitler jeweils eine Rede vor den "Alten Kämpfern" von 1923, am nächsten Tag marschierten sie zusammen vom Bürgerbräukeller über die Innenstadt zum Odeonsplatz. Dort hatte die Bayerische Landespolizei 1923 den Putsch gestoppt. Seit der Machtübernahme erinnerte ein Mahnmal an der Feldherrnhalle an die Toten von 1923, die zu "Märtyrern" stilisiert wurden.

1935 waren die "Ehrentempel" am Königsplatz fertig gestellt, die gewissermaßen die Schreine für den NS-Kult bilden sollten. In der Nacht vom 8. auf den 9. November wurden die Särge mit den beim Putsch Getöteten zunächst in feierlichen Prozessionen von den Münchner Friedhöfen zur Feldherrnhalle gebracht, dort in einem gespenstischen nächtlichen Weiheritual aufgebahrt und am nächsten Abend in die Ehrentempel überführt. Die Inszenierung an der Feldherrnhalle enthielt alle Elemente eines militärischen Begräbniszeremoniells mit Trommeln, vorbeimarschierenden und militärisch grüßenden Ehrenkompanien, Kranzniederlegungen und Gewehrsalven. Eine ausgefeilte Lichtregie betonte das Außeralltägliche, Weihevolle.

Die mitternächtliche Stunde machte jedes Geräusch doppelt wirksam - Trommeln, Glockenschlag, Stechschritt, Kommandos. Am Abend des 9. November diente die Feldherrnhalle dann auch in mythisch überhöhter "Nachfolge" der so inthronisierten NS-"Märtyrer" als Vereidigungsort der SS "bis in den Tod".

Das Schallarchiv des Bayerischen Rundfunks und das Deutsche Rundfunkarchiv verfügen über Originaltöne aus der NS-Zeit in München, die verwendet und als Quellen ernst genommen werden.


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