Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Bavarian Blues Wenn bayerische Autoren Weltverdruss spüren

Bernhard Setzwein, selbst Autor manch schwermütiger Roman- und Theaterstück-Passage, hat sich bei seinen bayerischen Kollegen umgesehen und ist sowohl bei Herbert Achternbusch als auch bei Oskar Maria Graf, bei Lena Christ und Kristina Schilke fündig geworden.

Von: Bernhard Setzwein

Stand: 26.09.2020 | Archiv

In seinem von Wehmut geprägten Abgesang "Leb wohl, geliebtes Volk der Bayern" schrieb Carl Amery schon vor Jahren, es gebe so etwas wie "den Generalbaß der Verzweiflung" im Wesen des Bajuwaren. Zuviel ist ihm im Laufe seiner Stammesgeschichte schon danebengegangen. Und dann noch die rein persönlich-privaten Katastrophen, die dazu kommen, wie Liebeskummer, Einsamkeit, unerklärliche Melancholie. Es gibt jedenfalls ausreichend Grund zu hadern, mit Gott und der Welt. Das weiß sogar das bayerische Volkslied und hält daher die "Weltverdruss-Polka" parat:

"Wer hat denn ’s Glück so ungleich teilt?
I hob koa Haus, koa Bett
und a koa Hoamat net,
i bin der Weltverdruss, mit mir is’s g’feit."

(Volkslied)

Der Bajuware klagt eher workarg

Anders als beim Österreicher fällt das Klagelied des Bajuwaren wortkarg aus. "Die bairische Verzweiflung hängt in aller Regel wortlos und ohne Abschiedsbrief des Morgens im Heuboden", um noch einmal Carl Amery zu zitieren. Er spielt damit auf eine Szene aus Ludwig Thomas Bauernroman "Der Ruepp" an, ein Beispiel von vielen, in dem der "Bavarian Blues" literarisch eindrucksvoll gestaltet ist.

Ludwig Thoma

"Der Ruepp war froh, daß ihn daheim niemand mit Fragen anging und daß ihm die Bäuerin auswich. Am andern Tag blieb er noch im Bett liegen, als die Sonne schon hoch stand. Er hatte keinen Willen zur Arbeit mehr, und ohne daß er sich Rechenschaft darüber gab, war es ihm, als hätte sie keinen Sinn für ihn und er kein Recht auf sie.
Er faßte Pläne, die er wieder aufgab, suchte Auswege und fand, daß ihm alle verschlossen seien.
Er schlenderte im Hof herum, ging in den Stall und wußte nicht, was er darin suchte, er sah den Zotzen-Peter und den Kaspar vom Felde heimkommen und wunderte sich, daß die noch etwas schafften, denn alles kam ihm nutzlos und leer vor.
Er sah finstere und scheue Blicke auf sich gerichtet und hatte nur den einen Wunsch, ihnen auszuweichen, sich vor ihnen zu verstecken."

(Aus: Ludwig Thoma, 'Der Ruepp')

Unendlicher Weltverdruss

Ludwig Thoma beendete das Manuskript zum "Ruepp" am 22. April 1921 … am 26. August starb er. Während der Arbeit am Roman hatte er erfahren, dass er an Magenkrebs erkrankt war, eine Nachricht, die er wohl nur mehr als den sprichwörtlichen letzten Sargnagel empfunden haben wird. Seine Existenz war eh schon weitgehend aufgefressen von unendlichem Weltverdruss.

"Du hast keine Chance, aber nutze sie."

(Herbert Achternbusch)

Ganz ohne Humor geht's auch beim Weltverdruss nicht

Herbert Achternbusch

Bernhard Setzwein, selbst Autor von Romanen und Theaterstücken, hat sich bei seinen bayerischen Kollegen umgesehen und ist sowohl bei Herbert Achternbusch als auch bei Oskar Maria Graf, bei Lena Christ und Kristina Schilke fündig geworden. Letztere, russisch-stämmig und noch nicht einmal Mitte 30, hat in ihrem Debüt, dem Erzählungsband "Elefanten treffen", Eindrücke ihres Aufwachsens im Bayerischen Wald geschildert, also in einem der Epizentren bayerischer Schwermut. Wie nicht anders zu erwarten, gehen russische und bajuwarische Melancholie eine solch hinreißende Verbindung ein, dass es fast schon wieder zum Schmunzeln ist. Denn ohne – wenn auch tiefschwarzen – Humor geht’s auch beim Weltverdruss nicht.

Buchtipps:

Der Ruepp

  • Autor: Ludwig Thoma
  • Gebundene Ausgabe: 164 Seiten
  • Verlag: Hofenberg (11. Juli 2015)
  • ISBN-10: 384307562X
  • ISBN-13: 978-3843075626


Der letzte Schliff

  • Autor: Herbert Achternbusch
  • Broschiert: 432 Seiten
  • Verlag: Carl Hanser (29. August 1997)
  • ISBN-10: 3446190953
  • ISBN-13: 978-3446190955


Elefanten treffen: Erzählungen

  • Autorin: Kristina Schilke
  • Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
  • Verlag: Piper (1. März 2016)
  • ISBN-10: 3492057535
  • ISBN-13: 978-3492057530


Das Irrenhaus: Roman

  • Autor: Michael Krüger
  • Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
  • Verlag: Haymon Verlag; Auflage: 1 (19. Juli 2016)
  • ISBN-10: 3709972523
  • ISBN-13: 978-3709972526


Erinnerungen einer Überflüssigen

  • Autorin: Lena Christ
  • Gebundene Ausgabe: 180 Seiten
  • Verlag: Hofenberg (21. September 2015)
  • ISBN-10: 384307996X
  • ISBN-13: 978-3843079969


Wir sind Gefangene

  • Autor: Oskar Maria Graf
  • Taschenbuch: 512 Seiten
  • Verlag: List Taschenbuch (10. Februar 2010)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3548609279
  • ISBN-13: 978-3548609270


Leb wohl geliebtes Volk der Bayern: Ein Requiem

  • Autor: Carl Amery
  • Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
  • Verlag: List Hardcover (1. September 1996)
  • ISBN-10: 3471770267
  • ISBN-13: 978-3471770269

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