Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton

Bairisch Esperanto Oder: Wie man an der Wortwurst zuzelt

Keine Sprache ist so rein wie bayerisches Bier. Alle inspirieren einander. So auch das Bairische, das im Laufe seiner Genese an besonders vielen Wortwürsten gezuzelt hat. Dass es dabei zu Missverständnissen kommen kann, liegt in der Natur der Sache, denn: In der Nuance liegt die Würze des Wortes. Baierisch Esperanto mit Thomas Kernert.

Von: Thomas Kernert

Stand: 17.09.2022 | Archiv

Wenn der Brite nichts mehr versteht, was angesichts der interkontinentalen Dominanz seines Idioms relativ selten vorkommt, aber wenn, dann umso vehementer, so sagt er: "It's all Greek to me!"
Der Franzose hingegen sagt: "C'est du chinois".
Der Italiener: "Questo per me è arabo".
Der Deutsche, ganz Weltmann, vermeidet internationale Verwicklungen und rekurriert lieber auf die Defizite seines öffentlichen Personenverkehrs: "Ich versteh nur Bahnhof".
Und was sagt der Bayer? Der Bayer sagt: "Ja mei!" Und meint damit: Ich weiß, dass ich nichts weiß und bin damit eigentlich ganz zufrieden, denn jeder sitzt in irgendeiner Weise auf seiner ganz persönlichen Gscheidhaferlinsel inmitten eines Meeres der Unwissenheit.

Der Bayer ist ein polyglotter Allessprecher

Verweise auf eine wie auch immer geartete Fremdspracheninkompetenz greifen in seinem Fall allerdings insofern ins Leere als auch er zwar meist weder Altgriechisch, noch Chinesisch noch Arabisch spricht, seine Sprache jedoch, das Bairische, mit einer Fülle von fremden Wörtern gesegnet ist, die sie im Laufe der Zeit assimiliert und bavarisiert hat.

Weshalb er in gewisser Weise ein polyglotter Allessprecher ist, auch wenn er, in Anführungszeichen: "nur" bairisch spricht.

Alle Sprachen inspirieren einander

Und alle Sprachen lassen sich inspirieren, übernehmen Wörter, Begriffe, Gedanken und machen sie sich in einem langen Kauprozess mundgerecht. Nicht anders im Bairischen - vor allem im Bereich der Ernährung konnte es dadurch viele lexikalische Kalorien zu sich nehmen. Jede bairische Wampe hat, etymologisch betrachtet, das große Latinum und spricht darüber hinaus auch noch italienisch, französisch und englisch (sowie ein paar weitere Sprachen).

Bairisch ist ein Prachtstück des linguistischen Globalismus

Doch auch auf ganz anderen Gebieten kann das Bairische mühelos mithalten. Der Bayer ist, ohne es recht zu wissen, polyglott, seine oftmals so eigenbrötlerisch anmutende Sprache ein Prachtstück des linguistischen Globalismus. Dass es dabei mitunter zu Missverständnissen kommen kann, liegt auf der Hand.

Unwort des Grauens: Tschüss

Leider gibt es eine Vokabel, die die Bayern ihren Sprechwerkzeugen einfach nicht abgewöhnen können und die deshalb seit Jahrzehnten schon wie Indisches Springkraut die bairische Sprachlandschaft überwuchert und verunstaltet. Die Rede ist von 'Tschüss'.

Jeder Abschied, der es wert ist, mit einer sprachlichen Äußerung verbunden zu werden, hinterlässt etwas. Tschüss hinterlässt einen hässlichen Umlaut und ein unangenehmes Gezischel. Tschüss klingt wie Mundgeruch riecht. Der Bayer mag kein Ü, heißt es, weshalb er auch nicht München, sondern 'Minga' sagt, nicht Rücken, sondern 'Buckl', nicht küssen, sondern 'bussln' und nicht Mütze, sondern 'Haum'.

Dass ein so hässliches Geräusch wie Tschüss eine Etymologie besitzt, verwundert. Angeblich jedoch kommt es aus dem Französischen, von adieu, über adjüüs und atschüs. Hugenotten könnten es in Hamburg und Bremen eingeführt haben. Es existieren aber auch noch andere Theorien. Um dieses Geräusch nicht nur unangenehm, sondern auch noch grenzdebil klingen zu lassen, deformieren es viele Tschüssler zu 'Tschüsschen' oder 'Tschüssi' oder 'Tschüü-üs'.

Bairische Alternativen: Pfiagod, Tschau, Servus oder Tschauservus

Ein herzliches 'Pfiagod' auf der Wiesn

Dabei gibt es im Bairischen reichlich Alternativen. Wer nicht das echte Pfiadi verwenden will, weil es dutzt und man nicht immer jeden dutzen will oder darf oder kann, hat auch die Möglichkeit, auf das bewährte 'Pfiagod' auszuweichen.

Wer wiederum nicht Gott ins Spiel bringen will, aus welchen Gründen auch immer, ist beim lateinischstämmigen Servus oder beim italienischen 'Tschau' in allerbesten Händen. Schöner geht's kaum: Kein schnutiges Ü, kein scharfer, giftiger Zischlaut, sondern ein voller, runder, in den blauen Himmel hineingesprochener Diphtong mit einer Brise Meersalz!

Genusssüchtige Bayern verabschieden sich mitunter sogar mit einem üppigen, fast barocken 'Tschauservus'. Doppelt gemoppelt, hält besser. Und hinterlässt einen großzügigen, polyglotten Eindruck.

Und trotzdem lässt sich das Tschüss nicht stoppen, sondern im Gegenteil, gewinnt immer mehr an Terrain. Da helfen auch keine Tschüss-freien Zonen, eine Idee, die so deppert ist, dass sie von einem Tschüssikowski stammen könnte. Warum aber ist das so? Ist es die Einsilbigkeit? Ist es das Zackige? Sind es die smarten Jungs und die cleveren Damen vor den TV-Kameras, die das Geräusch millionenfach in alle Haushalte transportieren?

Die Pest der Verabtschüssung zeigt, dass auch das polyglotte, mit einer Fülle von fremden Wörtern bereicherte und gesegnete Bairisch aufpassen muss, aus welchem Schnabel es frisst. Sonst wird er, der Bayer, der Allessprecher, der Wortwurstzuzler, am Ende selbst ausgezuzelt wie eine Weißwurst.