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Schüler mit Zivilcourage Coolrider schauen hin, wenn andere wegschauen

Sie schauen hin, wo andere gerne wegschauen: die Coolrider. So nennen sich Schülerinnen und Schüler, die in öffentlichen Verkehrsmitteln Zivilcourage zeigen. Dafür erhalten sie eine fundierte Ausbildung. Bayernweit gibt es bereits 6.082 Coolrider.

Von: Susanne Kruse

Stand: 26.09.2019 | Archiv

Fedor ist elf Jahre alt und besucht die Oskar-Semleben-Realschule im mittelfränkischen Lauf an der Pegnitz. Er geht in die sechste Klasse, das Schuljahr hat gerade erst angefangen. Fedors Klasse will den Tag mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen lassen. Jeder hat sich darauf gefreut und etwas mitgebracht, daran erinnert sich Fedor noch gut. Auch heute noch, zwei Jahre danach. Fedor wird diesen Tag nicht so schnell vergessen. Denn es war der Tag, an dem sein bester Freund Simon fast vom Zug erfasst worden wäre.

Bester Freund auf die Gleise geschubst

Früh am Morgen steht Simon am Bahnhof im 15 Minuten entfernten Schnaittach. Rings um ihn herum Gedrängel, plötzlich wird er achtlos von jemandem angerempelt. Simon verliert das Gleichgewicht und stürzt vom Bahnsteig ins Gleisbett.

"Und dann ist der Zug gekommen. Der hat sich dann noch zur Seite gerollt aber es war echt ziemlich knapp und das ist halt mein bester Freund gewesen. Da hätte ich halt gern, dass sowas vermieden wird. Auch wenn es nicht mein bester Freund gewesen wäre, ist das schlimm, wenn jemandem so was passiert. Dass man halt einfach fähig ist, da einzugreifen."

Fedor, Schüler

Coolrider zeigen Zivilcourage in öffentlichen Verkehrsmitteln

Das sagt Fedor heute. Er ist mittlerweile 13 Jahre alt. Was seinem besten Freund Simon passiert ist, war für Fedor der Auslöser dafür, Coolrider zu werden. Coolrider sind Schülerinnen und Schüler, die in öffentlichen Verkehrsmitteln Zivilcourage zeigen. Die den Mund aufmachen, wenn jemand im Bus oder in der Bahn raucht, mutwillig Sitze oder Türen vollschmiert oder andere Fahrgäste anpöbelt.

Streit lösen und Konflikte entschärfen

Im Coolrider-Training hat Fedor unter anderem Deeskalationstechniken kennen gelernt und in Übungen durchgespielt, wie er sich souverän behaupten kann – egal ob vor Gleichaltrigen oder Erwachsenen. Denn vom Altersunterschied hängt manchmal eine ganze Menge ab. Das bestätigt auch Fedors Schulkameradin Emma.

"Wenn man sieht, dass es schon eine gewalttätige Situation ist, dann sollte man lieber Hilfe holen. Weil dann ist es vielleicht auch nicht so gut, wenn man zu viel Mut hat. Aber sonst braucht man schon etwas Mut, um Schüler oder auch Erwachsene anzusprechen."

Emma, Schülerin

20 Stunden Training

Im Jahr 2002 hat die Nürnberger Verkehrs-Aktiengesellschaft (VAG) das Coolrider-Programm ins Leben gerufen. Das Training umfasst 20 Stunden und richtet sich bayernweit an Jugendliche von der Mittelschule bis zum Gymnasium. Mitarbeiter der VAG und der Polizei sensibilisieren die Teilnehmer im Rahmen der Ausbildung für den zwischenmenschlichen Umgang mit anderen in öffentlichen Verkehrsmitteln: Kommt mir etwas komisch vor in meiner Umgebung? Braucht jemand Hilfe? Läuft eine Situation gerade aus dem Ruder? Kann ich als Einzelner eingreifen? Und wenn ja, wie – ohne mich selbst in Gefahr zu bringen? Warum ist Sicherheitsabstand so wichtig? Wie ziehe ich andere Fahrgäste auf meine Seite? Und: Wann nützt es nichts, sich einzumischen? Auch das lernen Coolrider in ihrer Ausbildung.

"Man muss sich nicht für alles verantwortlich fühlen. Wenn zum Beispiel neben dir zwei Freundinnen sitzen, die gerade sich streiten. Dass man eingreift, wenn die zu laut streiten, aber sich nicht verantwortlich fühlt, jetzt den Streit zu klären. Weil das ist nicht unser Job."

Elif, Schülerin

Coolrider können nicht alle Konflikte lösen, aber sollen kritische Situationen erkennen und richtig einschätzen. Das hat auch Luis vor drei Jahren in seiner Coolrider-Ausbildung gelernt. Seitdem, sagt er, gab es nicht nur in der Bahn oder im Bus vereinzelt Situationen, in denen er das, was er im Training gelernt hat, anwenden konnte.

"Da habe ich mit einem Kumpel einen Moped-Unfall gesehen. Und da waren halt irgendwie 30, 40 Leute um diesen Menschen rumgestanden. Ich glaube, der Oberschenkel war gebrochen. Und dann war da so ein Mann, der hat den ständig angefasst. Und da haben wir halt gesagt: 'Sie lassen jetzt die Hände von ihm und warten bis der Krankenwagen kommt! Sie hören doch, er möchte nicht von ihnen behandelt werden!' Und dann hat er gesagt: 'Okay.' Und da denke ich mir, dass so eine Coolrider-Ausbildung etwas bringt, weil man weiß, wie man richtig an die Sachen rangeht."

Luis, Schüler

Mut kann man lernen

Emma, Luis, Elif und Fedor sind vier von bayernweit 6.082 Mädchen und Jungen, die sich zu ehrenamtlichen Coolridern ausbilden ließen. Aktuell nehmen bayernweit 100 Schulen am Coolrider-Programm der VAG teil. Darunter das Nürnberger Martin-Behaim-Gymnasium, wo Luis zur Schule geht, und die Laufer Oskar-Sembach-Realschule, die Elif, Emma und Fedor besuchen. Alle vier sind sie überzeugt: Mut kann man lernen.

"Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Mensch sich durchsetzen kann, wenn er möchte. Man sollte sich als Gemeinschaft verbünden. In einem Bus sitzen vielleicht 30 Leute und wenn man alle darauf aufmerksam macht, dass da eine Person was falsch macht, dann würde das glaube ich anders laufen. Aber weil halt diese Angst da ist, selber auch angemault zu werden, mischen sich vielleicht nicht viele Menschen ein und schauen lieber weg."

Luis, Schüler


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