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Zeit ist Hirn! Durchblutungsstörungen und Schlaganfall

2,5 Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland hatten bereits einen Schlaganfall – das ist jeder 40. Mensch hierzulande. Welche Rolle spielen besonders Bluthochdruck und Arteriosklerose bei der Entstehung eines Schlaganfalls?

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 09.05.2023

Ein Schlaganfall lässt sich so nachweisen: An einer Schichtaufnahmen eines Gehirns, die mit einem Magnetresonanztomographen aufgenommen worden ist, zeigt ein Arzt auf einen Bereich, der durch einen Schlaganfall geschädigt ist.  | Bild: picture-alliance/dpa

"Schlagartig" treten die Folgen ein, wenn ein Blutgerinnsel (ein sogenannter Thrombus) ein Gefäß verstopft: Gewebe wird von der Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen abgeschnitten und stirbt ab.

Expertin:

Dr. med. Silke Wunderlich, Fachärztin für Neurologie, Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der TU München

Wenn das Blutgerinnsel mit dem Blutstrom ins Gehirn gelangt, bedeutet das: Schlaganfall. 260.000 Menschen erleiden in Deutschland jährlich einen Schlaganfall, sterben daran oder leiden unter oft erheblichen Folgen. Denn der Hirninfarkt ist der häufigste Grund einer im Erwachsenenalter erworbenen Behinderung. 2,5 Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland hatten bereits einen Schlaganfall – das ist jeder 40. Mensch hierzulande. Welche Rolle spielen besonders Bluthochdruck und Arteriosklerose bei der Entstehung eines Schlaganfalls?

Dem Text liegt ein Gespräch mit Dr. med. Silke Wunderlich zugrunde, Fachärztin für Neurologie, Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der TU München

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen einem sogenannten ischämischen Schlaganfall (das ist ein Schlaganfall infolge einer Durchblutungsstörung) und einer Hirnblutung, bei der ein hirnversorgendes Gefäß reißt.

"Dabei blutet es in das Gehirn hinein. Die Hirnblutung kommt viel seltener als die Durchblutungsstörung, nämlich nur in etwa 15 Prozent aller Schlaganfälle, vor. Der klassische ischämische Schlaganfall, also die Durchblutungsstörung, dagegen bei in etwa 85 Prozent der Schlaganfälle."

Dr. Silke Wunderlich

Die körperliche, klinische Untersuchung von Arzt und Ärztin erlaubt allein noch keine Unterscheidung der beiden Schlaganfallformen.

"Beim Schlaganfall kommt es zu einem akuten neurologischen Defizit, das wiederum davon abhängt, wo im Gehirn die Durchblutungsstörung oder aber die Einblutung stattgefunden hat. Unser Grundproblem ist, dass wir anhand unserer klinischen Untersuchung nicht unterscheiden können: Handelt es sich um eine Durchblutungsstörung oder um eine Hirnblutung?" Dr. Silke Wunderlich

Die Symptome lassen erkennen, in welchem Hirnareal sich der Schlaganfall abgespielt hat.

  • Halbseitenlähmung: Arm und/oder Bein werden plötzlich schwach.
  • ein hängender Mundwinkel, aus dem Flüssigkeiten, Nahrung oder auch der eigene Speichel laufen
  • verminderte Gefühlswahrnehmung einer Körperseite
  • Sprachstörungen, so dass man nicht mehr die richtigen Worte findet, oder aber die Sprache seines Gegenübers nicht mehr versteht
  • Störung der Artikulation, man spricht wie betrunken
  • Sehstörungen auf einem Auge oder nach einer Seite, Doppelbilder
  • Unsicherheit beim Gehen oder Schwindel
  • Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma

"Das Kernsymptom des Schlaganfalls ist der akute Beginn, von einer Sekunde auf die andere."

Dr. Silke Wunderlich

Erst Computertomografie (CT, Schnittröntgen) oder Kernspintomografie (MRT) bringen die Differenzierung. Dabei drängt die Zeit, denn das Nervengewebe wird sehr schnell bleibenden Schaden nehmen. Vom Ergebnis dieser bildgebenden Verfahren hängt die weitere Therapie ab. Das heißt bei der Hirnblutung den akut erhöhten Blutdruck zu senken und die Gerinnung im Falle einer Gerinnungsstörung mit Hilfe von Medikamenten wieder zu normalisieren.

Anders dagegen die Therapie beim Infarkt in Form einer Durchblutungsstörung:

"Beim ischämischen Schlaganfall, also der Durchblutungsstörung, wird man versuchen, in der Akutphase das Gerinnsel aufzulösen. bzw. zu entfernen. Und hier hängt es wiederum davon ab, wie groß das Gerinnsel ist bzw. welches Gefäß im Gehirn betroffen ist. Davon abhängig entscheiden wir, welche Methoden wir anwenden. Es kommen hierbei zwei Optionen einer rekanalisierenden (‚Gefäß wieder eröffnen‘) Therapie in Frage, die auch miteinander kombiniert werden können: systemische Thrombolyse (sog. Lysetherapie) und mechanische Rekanalisation (Thrombektomie). Die systemische Thrombolyse ist eine einstündige Infusionsbehandlung, die das Gerinnsel auflösen soll. Dies ist in den ersten 4 ½ Stunden nach Beginn der Symptome möglich. Im Falle des Verschlusses eines großen hirnversorgenden Gefäßes kommt die Thrombektomie zum Einsatz. Das ist ein Katheterverfahren, bei dem ein speziell für diese Behandlung ausgebildeter Neuroradiologe mit Hilfe eines Katheters die hirnversorgenden Gefäße sondiert und das Gerinnsel entfernt. Man kann sich das ähnlich vorstellen wie bei einem Herzkatheter. Erst vor einigen Jahren konnten verschiedene Studien zeigen, wie sehr Patienten von einer Thrombektomie insbesondere in den ersten 6 Stunden nach Eintreten des Schlaganfalls profitieren, ohne dass sie einem relevanten Risiko ausgesetzt sind. Dabei hat sich die Technik dank moderner Katheter enorm verbessert."

Dr. Silke Wunderlich

Für beide Methoden gilt: Time is brain, die Zeit drängt also. Je früher ein Patient behandelt werden kann, umso effektiver ist die Therapie. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Schlaganfallereignis steigt das Risiko für Nebenwirkungen und Komplikationen wie zum Beispiel Einblutungen.

Heute können Patienten behandelt werden, denen man früher keine Therapie mehr anbieten konnte. Man weiß inzwischen, dass von den Thrombektomieverfahren durchaus auch Patienten profitieren können, deren Schlaganfall schon ein wenig länger zurückliegt.

"Das ist noch mal eine sehr wichtige Botschaft: auch wenn man feststellt, dass Symptome schon mehr als 6 Stunden bestehen, darf man nicht denken ‚Jetzt habe ich ja Zeit. Jetzt kommt es ja nicht mehr darauf an…‘. Auch in diesen Situationen muss schnell reagiert, der Rettungsdienst informiert und der Patient rasch auf eine Stroke Unit (Station zur Schlaganfallbehandlung) gebracht werden. Denn zeigt sich auch bei länger zurückliegendem Symptombeginn noch rettbares Hirngewebe in der Bildgebung, können wir auch diesen Patienten noch eine Akuttherapie anbieten und ihnen damit relevant helfen. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass das individuell sehr unterschiedlich sein kann.“ Dr. Silke Wunderlich

Die Diagnostik durch CT und MRT auf der Stroke Unit wird begleitet von: Ultraschalluntersuchungen der hirnversorgenden Gefäße und des Herzens sowie Labordiagnostik, insbesondere die Überprüfung der Blutfettwerte und des Blutzuckers.

"Und ein EKG, das wir auf unserer Stroke Unit dann am Monitor kontinuierlich ableiten."

Dr. Silke Wunderlich

Der Schlaganfall ist ein akutes plötzliches Geschehen, das den Menschen überrumpelt. Gibt es keine Vorzeichen?

"Im Prinzip Nein. Dennoch gibt es Patienten, die mit einem manifesten Schlaganfall zu uns ins Krankenhaus kommen und vorausgehend eine sogenannte transitorisch ischämische Attacke, eine TIA, hatten. Das ist eine vorübergehende Durchblutungsstörung im Gehirn, die aber keine Folgen hinterlässt. Sie dauert in der Regel einige Sekunden oder Minuten, meistens nicht mehr als eine Stunde an."

Dr. Silke Wunderlich

Dabei können alle genannten Schlaganfallsymptome im Rahmen der TIA auftreten. Aber eben nur ganz kurz, für Sekunden oder Minuten, bemerkt der Patient, dass z.B. eine Körperseite ganz taub ist. Danach sind die Symptome wieder verschwunden. Bei jedem 7. Patienten geht eine TIA dem Schlaganfall voraus, bei jedem 20. Patienten bereits innerhalb von zwei Tagen.

Die Expertin Dr. Silke Wunderlich warnt:

"Man darf nicht meinen, was wieder weggegangen ist, muss einen nicht interessieren. Auch vorübergehende Symptome müssen ernst genommen werden. Jeder Patient sollte sich unmittelbar ärztlich vorstellen, am besten sofort den Rettungsdienst benachrichtigen. Denn eine TIA kann die Vorstufe eines schwerwiegenden Schlaganfalls sein, und den gilt es zu verhindern."

Dr. Silke Wunderlich

Bei einer transitorisch ischämischen Attacke findet sich per definitionem in der Bildgebung kein krankhafter Befund. Aber auch ein manifester Schlaganfall kann sich klinisch wie eine TIA präsentieren. Also mit vorübergehenden Symptomen, die wieder verschwinden.

"Und dann machen wir eine Kernspintomografie und sehen: Aha, hier hat doch ein Schlaganfall stattgefunden, auch wenn der Patient keine Symptome mehr hat."

Dr. Silke Wunderlich

Eine Herausforderung in der Diagnostik ist der Schlaganfall durch Vorhofflimmern, einer speziellen Form einer Herzrhythmusstörung.

Definition Vorhofflimmern

Vorhofflimmern ist eine Art von Rhythmusstörung, bei der das Herz in den Vorhöfen elektrisch so schnell erregt ist, dass sich diese gar nicht mehr bewegen und praktisch still stehen. In den Vorhöfen gibt es sogenannte Vorhofohren, auch Herzohren genannt, weil sie an die Form der Ohren erinnern. Fließt nun das Blut sehr langsam in diese Herzohren, kann es dort gerinnen. Wenn dann das Herz zwischenzeitlich einen normalen Rhythmus bekommt und der Vorhof schlägt, wird das Blutgerinnsel herausgespült und kann in das Gehirn wandern. Dort kommt es dann zum Schlaganfall.

"Das Tückische am Vorhofflimmern ist, dass es nicht kontinuierlich nachweisbar sein muss. Es kann auch nur vorübergehend auftreten, d.h. es ist mal da, und dann wieder weg. Zudem muss der Betroffene die Rhythmusstörung nicht selber merken. Etwa 50 Prozent der Patienten bemerken ihr Vorhofflimmern, das zum Teil mit schnellem oder langsamem Pulsschlag einhergeht, nicht."

Dr. Silke Wunderlich

Umso wichtiger ist es, im Falle einer ungeklärten Schlaganfallursache auch nach dem Klinikaufenthalt Langzeit-EKGs durchführen zu lassen. Denn je länger man untersucht, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, ein paroxysmales Vorhofflimmern nachzuweisen. Und dies ist entscheidend für die weitere blutverdünnende Therapie

Komplikationen

Während der Akutphase des Schlaganfalls kann es zu einer Vielzahl an Komplikationen kommen, die es gilt während der Behandlung auf der Stroke Unit zu verhindern bzw. frühzeitig zu behandeln.

"Schluckstörungen sind ein ganz wichtiger Punkt. 50 bis 80 Prozent aller Schlaganfallpatienten haben in der Akutphase eine Schluckstörung und sind damit gefährdet, eine Lungenentzündung zu entwickeln. Diese würde sich dann natürlich negativ auf den weiteren Krankheitsverlauf auswirken. Es ist daher wichtig, bei jedem Patienten einen standardisierten Schluckversuch durchzuführen, um sagen zu können ob der Patient normale Nahrung zu sich nehmen darf. Oder muss, um eben jene komplizierende Lungenentzündung zu verhindern, die Ernährung in den ersten Tagen, in den ersten Wochen nach dem Schlaganfall über eine Magensonde erfolgen."

Dr. Silke Wunderlich

Bereits während des Aufenthaltes auf der Schlaganfalleinheit, der Stroke Unit, also rasch nach Eintreten des Schlaganfalls, werden frühe Rehabilitationsmaßnahmen durch ein interdisziplinäres Team eingeleitet. Durch Physiotherapeuten, um den Patienten aus dem Bett heraus zu mobilisieren. Kann er schon wieder stehen? Kann er schon wieder ein paar Schritte gehen? Ergotherapeuten trainieren je nach Ausfallsmuster eventuell gestörte Handlungsabläufe.

"Ein mögliches Schlaganfallsymptom sind Störungen von Handlungsabläufen: der Betroffene weiß dann nicht mehr, wie man sich die Zähne putzt oder die Haare kämmt Das hat er verlernt und muss es erst wieder mit Hilfe der Ergotherapie erlernen. Unsere Logopädinnen befassen sich mit der Sprach- und Schlucktherapie. All das beginnt schon bei uns in den ersten Stunden nach dem Schlaganfall, um dann in der weiterbehandelnden Rehabilitationsklinik fortgeführt zu werden. Letztendlich ist die Schlaganfallstation dafür da, den Patienten in der akuten Schlaganfallphase zu begleiten: Durchführen einer rekanalisierenden Therapie wann immer möglich, Vermeiden von Komplikationen sowie frühe Rehabilitationsmaßnahmen sind wichtige Säulen. Zudem gilt es eine frühe Sekundärprävention einzuleiten, also eine vorbeugende Therapie, um einen zweiten Schlaganfall zu verhindern."

Dr. Silke Wunderlich

Das Risiko für einen erneuten Schlaganfall ist erhöht, wenn man schon einmal einen Schlaganfall erlitten hat. Häufig handelt es sich um Patienten, die schon mit verschiedenen gesundheitliche Problemen vorbelastet sind wie Bluthochdruck, Diabetes, ungesunde Ernährung oder Rauchen. Ein wichtiger Risikofaktor ist zudem das Vorhofflimmern.

"Für etwa 20 bis 30 Prozent der Schlaganfälle ist ein Vorhofflimmern verantwortlich. Entscheidend für die Sekundärprävention ist die Einleitung einer blutverdünnenden Therapie (bevorzugt mit den sogenannten neuen oralen Antikoagulantien), um das Wiederholungsrisiko, also das Risiko eines erneuten Schlaganfalls, so weit wie möglich zu senken. ASS reicht hier nicht aus."

Dr. Silke Wunderlich

Time is brain, Zeit ist Hirn, schnelle Hilfe zählt. Es ist grundlegend wichtig, den Schlaganfall rechtzeitig zu erkennen. Denn es geht um ein Geschehen, das in kürzester Zeit unwiderruflich Gewebe im Gehirn zerstört und vernichtet.

"Wir wissen aus Studien, dass insbesondere für Gefäßverschlüsse im sogenannten vorderen Kreislauf, das heißt im Bereich der vorderen Halsschlagadern, in den ersten sechs Stunden der Effekt am größten ist. Aber es gibt mittlerweile auch gute Daten zu Patienten, die noch von einer Thrombektomie profitieren, wenn man erst später behandelt, durchaus bis zu 24 Stunden nach dem Schlaganfallereignis."

Dr. Silke Wunderlich

Der individuelle Unterschied: Die Gefäßsituation des einzelnen Patienten. Ob eventuell umgebende Gefäße zum Beispiel für eine gewisse Zeit die Durchblutung in dem Areal übernehmen können, das sonst von dem verschlossenen Gefäß versorgt wird.

"Und wenn wir in einem speziellen CT mit Darstellung von Gefäßen und Durchblutung sehen, dass bei einer Symptomdauer von mehr als sechs Stunden noch rettbares Risikogewebe nachweisbar ist, können wir noch bis zu 24 Stunden nach dem Schlaganfallereignis eingreifen. Damit gelingt es uns oftmals, den noch schwereren Schlaganfall zu verhindern, also den Schaden für den Betroffenen so gering wie möglich halten. Was allerdings an Gehirnsubstanz zugrunde gegangen ist, können wir nicht wiederherstellen. Deshalb ist es so wichtig, dass man den Schlaganfall rechtzeitig erkennt und nicht abwartet und denkt, dass die Symptome schon wieder vorbeigehen werden. Leider erleben wir dies immer wieder. Patienten bemerken Symptome bereits am Vorabend, denken aber dass diese am nächsten Morgen schon wieder weg sein werden. Aber am nächsten Morgen sind die Beschwerden eben nichtverschwunden, sondern möglicherweise noch schwerwiegender. Es ist daher wichtig, bei Auftreten neurologischer Defizite unmittelbar den Rettungsdienst zu benachrichtigen."

Dr. Silke Wunderlich

"Das einzige, was ein Angehöriger wirklich für den Betroffenen tun kann, ist direkt und umgehend die 112 zu wählen, also den Notdienst zu verständigen und damit dafür zu sorgen, dass der Betroffene, wenn er es selber nicht kann, ins Krankenhaus eingewiesen wird. Wichtig ist es zudem, Dinge zu unterlassen. Dringend zu vermeiden ist es, den Betroffenen z.B. noch einen Schluck Wasser zu geben. Das ist gefährlich, da viele, insbesondere schwerer betroffene  Schlaganfallpatienten eine Schluckstörung haben. Dann landet das Wasser nicht im Magen, sondern in der Lunge - mit dem Risiko einer Lungenentzündung." Dr. Silke Wunderlich

Damit gilt zudem: auf keinen Fall sollte man Betroffenen irgendwelche Medikamente geben. Insbesondere blutverdünnende Medikamente wie beispielsweise Aspirin sind unbedingt zu vermeiden solange nicht klar ist, ob es sich um eine Durchblutungsstörung oder eine Hirnblutung handelt. Denn liegt eine Hirnblutung vor, kann dies die Situation verschlechtern und das Gegenteil bewirken.

"Das ist auch, was der Rettungsdienst tut. Er überprüft Blutdruck, Blutzucker und Atmung, gibt gegebenenfalls eine Infusion und sorgt dafür, dass der Patient so schnell wie möglich auf eine Schlaganfallstation kommt."

Dr. Silke Wunderlich

Der Appell der Expertin: Symptome ernstzunehmen, nicht zu warten. Sich nicht scheuen, den Rettungsdienst möglicherweise einmal zu viel zu benachrichtigen, wenn akute Beschwerden auftreten. Also umgehend die 112 rufen und nicht den Umweg über den Hausarzt nehmen.

"Und natürlich ein ganz wichtiger Punkt, den ich adressieren möchte: Beachten Sie Ihre Risikofaktoren."

Dr. Silke Wunderlich

Die Liste der Risikofaktoren für einen Schlaganfall ist lang: erhöhte Cholesterinwerte, Rauchen, verstärkter Alkoholkonsum, Übergewicht, mangelnde körperliche Bewegung, Diabetes …

Teils verstärken diese sich gegenseitig – z.B. beeinflusst Übergewicht sekundär wiederum die anderen Risikofaktoren.

Man geht davon aus, dass vier von fünf Schlaganfällen und vorzeitigen Herzerkrankungen vermeidbar wären, wenn keine Risikofaktoren entstehen bzw. diese frühzeitig erkannt und behandelt würden.

Eine besonders große Rolle bei den Risikofaktoren spielt der Hypertonus, also der Bluthochdruck. Weltweit habe sich die Zahl der erwachsenen Menschen mit Bluthochdruck in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt, meldet die Deutsche Herzstiftung. Doch jeder fünfte Erwachsene weiß nichts von seinem Bluthochdruck und kennt damit das Risiko für seine Gefäße gar nicht.

"Der Bluthochdruck ist insofern tückisch, dass wir ihn häufig gar nicht bemerken. Bluthochdruck macht in der Regel keine Beschwerden! Er muss schon sehr hoch sein, dass wir Symptome entwickeln - wie zum Beispiel Kopfschmerzen. In den allermeisten Fällen aber merkt man ihn gar nicht."

Dr. Silke Wunderlich

Die Expertin appelliert, regelmäßig den Blutdruck zu überprüfen, ob mit dem eigenen Gerät oder beim Besuch beim Arzt oder in der Apotheke. Man müsse ein Gefühl für seinen eigenen Blutdruck bekommen. Denn bei erhöhtem Blutdruck ist immer eine Abklärung und gegebenenfalls eine medikamentöse Therapie nötig.

"Ich sehe immer wieder recht junge Patienten auf unserer Stroke Unit oder Intensivstation, die erst 40 oder 50 Jahre alt sind, aber bereits eine Hirnblutung oder einen schweren Schlaganfall erlitten haben. Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen uns dann, dass sie sicherlich bereits zuvor einen erhöhten Blutdruck hatten, dies aber nicht wussten, weil sie nie ihren Blutdruck gemessen haben."

Dr. Silke Wunderlich

Dabei steigert hoher Blutdruck das Schlaganfallrisiko um den drei- bis fünffachen Faktor und steht somit bei den Risikofaktoren für einen Schlaganfall direkt an zweiter Stelle nach dem riskanten Vorhofflimmern.

"Der Bluthochdruck ist einer der wesentlichen Faktoren, der die Arteriosklerose (im Volksmund Gefäßverkalkung) begünstigt. Wie genau das passiert, weiß man noch nicht hundertprozentig. Wir wissen aber, dass durch länger bestehenden Bluthochdruck die Gefäßinnenwand geschädigt wird."

Dr. Silke Wunderlich

Patienten mit Arteriosklerose ("Gefäßverkalkung") haben nicht nur ein erhöhtes Schlaganfallrisiko, sie erleiden außerdem häufiger Herzinfarkte, haben häufiger Durchblutungsstörungen am Bein (Stichwort "Schaufensterkrankheit") und Nierenschäden, da die Niere auf Grund arteriosklerotischer Veränderungen an den Nierengefäßen nicht mehr richtig funktioniert. Bluthochdruck verursacht solche arteriosklerotischen Veränderungen an den großen Gefäßen. "Unterstützt" wird er dabei durch erhöhte Cholesterinwerte – nämlich das erhöhte LDL-Cholesterin, also das sogenannte "schlechte" Cholesterin. Ein hoher LDL-Spiegel begünstigt dabei die Plaque-Bildung. Das Fett lagert sich an den Innenwänden der Arterien an und setzt eine Entzündungsreaktion in Gang: Weiße Blutkörperchen wandern in die Gefäßinnenwand ein, nehmen dieses LDL auf und werden zu großen Schaumzellen. Abwehrzellen aus dem Blut beantworten diesen Prozess wiederum. Letztendlich bildet sich eine Art Fettstreifen aus verschiedenen Zellen in der Arterienwand, der - wenn die Risikofaktoren nicht behandelt werden - weiterwächst.

"Und daraus entsteht dieser klassische Plaque. Also letztendlich eine lokale Gefäßverkalkung, die, wenn sie weiterwächst, zu einer Engstelle des Gefäßes führen kann. Diese Plaques können verkalken und letztendlich zu einer Engstelle bis hin zum Verschluss eines Gefäßes führen. Man kann sich das so vorstellen: Die Plaques sind häufig im weiteren Verlauf instabil und brechen auf. Da sie dadurch mit dem Blut in Kontakt kommen, lagern sich Blutplättchen an, die körpereigene Blutgerinnung wird aktiviert. Die so entstehenden Blutgerinnsel verschließen entweder das Gefäß lokal, also an dieser Stelle, oder aber sie lösen sich und werden in nachgeschaltete Gefäßregionen weitergeleitet. Und wenn das dann eben Gefäße betrifft, die das Gehirn versorgen, wird dieses Gerinnsel weitergeleitet ins Gehirn und verstopft Gefäße innerhalb das Gehirns. Und dadurch wird letztendlich der Schlaganfall verursacht."

Dr. Silke Wunderlich

An Hirnblutungen ist in etwa 50 Prozent der Fälle ein Bluthochdruck beteiligt, so die Expertin. Er ist schuld an Gefäßveränderungen nicht nur an den größeren Gefäßen, sondern auch an kleineren Gefäßen im Gehirn, die dann sozusagen poröser werden. Kommt es zu einer plötzlichen Blutdruckspitze, können diese Gefäße reißen.

"Wenn ein Gefäß innerhalb des Gehirns einreißt, kommt es zu einer Einblutung in das Gehirn. Dann haben wir es eben mit der klassischen Hirnblutung zu tun."

Dr. Silke Wunderlich

Weitere Risikofaktoren für den Schlaganfall

Ein weiterer wesentlicher Risikofaktor für den Schlaganfall ist das bereits erwähnte Vorhofflimmern. Aufgrund dieser Herzrhythmusstörungbilden sich Blutgerinnsel im Herzen. Lösen sie sich, kann es zum Schlaganfall kommen. Zudem spielt neben genetischen Faktoren, also einer erblichen Vorbelastung insbesondere das Alter eine wesentliche Rolle bei der Schlaganfallentstehung.

"Das Alter ist ein wesentlicher Risikofaktor, den wir nicht beeinflussen können. Statistisch gesehen erkranken mehr Frauen an einem Schlaganfall, was aber an deren etwas höherer Lebenserwartung liegt. Aber wir haben zunehmend auch Patienten in jüngeren Lebensjahren, die einen Schlaganfall entwickeln. Wir sprechen hier von einem juvenilen Schlaganfall, also Patienten, die vor ihrem 55. Lebensjahr einen Schlaganfall erleiden. Immerhin sind das in Deutschland etwa 30.000 Menschen pro Jahr. Und wir beobachten in den letzten Jahren, dass die Anzahl der juvenilen Schlaganfälle ansteigt, was sicherlich auch mit unserer Wohlstandsgesellschaft zu tun hat – die verbunden ist mit bereits in jüngeren Lebensalter auftretenden Gefäßrisikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus."

Dr. Silke Wunderlich

"Glücklicherweise ist es möglich, dass sich ein Patient, auch wenn der Schlaganfall anfangs schwer war, komplett erholt." Dr. Silke Wunderlich

Entsprechende Maßnahmen bereits auf der Stroke Unit und in nachbehandelnden Rehabilitationseinrichtungen bringen die Patienten im besten Fall zurück in ihr bisheriges Leben. Werden Empfehlungen zur Sekundärprävention jedoch befolgt?

"Wir sehen wir in unserer Ambulanz doch leider auch, dass die Medikamente nicht ganz so regelmäßig genommen werden oder sogar wieder abgesetzt werden. Leider sind viele Schlaganfallpatienten mit der Medikamenteneinnahme und Kontrolle ihrer Risikofaktoren überfordert. Aufgrund des Schlaganfalls können sie sich teilweise Empfehlungen gar nicht mehr merken. Und wenn es dann nicht Angehörige gibt, die sich kümmern, dann läuft die Nachsorge eben nicht so, wie man sich das wünschen würde."

Dr. Silke Wunderlich

Die Deutsche Schlaganfall-Hilfe fördert Pilotprojekte, die zum Beispiel sogenannte Schlaganfall-Lotsen einsetzt, also Helfer und Helferinnen, die Patienten mit Schlaganfall nach dem Klinik- oder Reha-Aufenthalt unterstützen. Diese erinnern beispielsweise daran, Medikamente regelmäßig einzunehmen oder Arzttermine wahrzunehmen, sozialmedizinische Fragen zu klären oder Hilfsmittel zu beschaffen.

"Diesen sehr sinnvollen Beistand gibt es leider bislang nur in Pilotprojekten. Geplant ist die Überführung in die Regelversorgung. Dies umgehend weiter zu befördern, würde ich mir von der Politik wünschen. Schließlich sind rund 40 Prozent der Betroffenen nach einem Hirninfarkt langfristig beeinträchtigt."

Dr. Silke Wunderlich