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Circus Corona Wenn bei Artisten und Schaustellern nix mehr geht

Panem et circenses - Brot und Spiele. Wir alle brauchen die Spiele, die gemeinschaftliche Unterhaltung, und Zirkusleute und Schausteller das Brot. Doch für beides schaut es auf absehbare Zeit mau aus…

Von: Wolf Gaudlitz

Stand: 21.07.2020 | Archiv

Leer ist er, der Maria-Hilf-Platz in München. Dort wo sonst das pralle Leben tobt: Auer Dult; Schausteller, Fahrgeschäfte, Rummel, Gedränge dicht an dicht, ausgelassenes Beinanderhocken, Schlecken, Schlucken, Knabbern, Kauen - die Gaudi halt, um die Gaudi des Genießens und Verdauens von Süßem, Salzigem, Saurem, von Süffigem und überhaupt von all dem weitgefächerten Sinnesfeld für Augen, Ohren, Mund und Nase, für die An- und Ausreizung aller Wahrnehmung der Farbenpracht und Überraschungen - aber, da geht grad nix, gar nix mehr.

Silvia und Sigfried Kaiser, Seniorchefs einer 200jährigen Zirkus- und Schaustellerdynastie, vergleichen ihre derzeitige Situation mit den schlimmen Kriegszeiten.

"Das ha’ma ja immer gehabt schon. Weil unsere Eltern haben ja auch ihre Tiefs mitgemacht. Mir können nur vom Glück reden – ich aus meiner Sicht jetzt dann – dass wir keinen Krieg erlebt haben. Wir sind eigentlich im Wirtschaftswunder groß geworden. Und jeder Nagel der angeschafft wurde, hat man sich gefreut und gemacht. Und wir haben das nicht erlebt, was unsere Eltern und Großeltern erlebt haben, die die Kriege erlebt haben und die Währungsreform und das. Aber was wir jetzt erleben, das ist, glaube ich, noch einen Haken schlimmer dann. Wenn gar nichts mehr voran geht."

Sigi Kaiser, Schausteller

Klingt als ob kein Schutzschirm aufgespannt, keine Soforthilfen greifen, kein Geldsegen vom Himmel und kein Lottogewinn aus dem Glücksrad fällt:

"So schaugt’s aus. Mir sind ja - wie heißt des was wir kriegen sollen? Rettungsschirm. Aber was ha’ma jetzt? Juni, scho Mitte Juni und es eigentlich noch nix da, was passieren soll und was ned. Weil ja gar keine Einnahme is! Wenn irgend a Einnahme da wär, ko’ma sich da auch wieder über Wasser gut halten. Aber ansonsten …"

Silvia Kaiser, Schaustellerin

Ganz ähnlich gehts dem ruhmreichen und nicht nur für München so wichtigen Circus Krone. 3000 Sitzplätze hat der Krone-Zirkusbau. Aber nur sage und schreibe 50 Zuschauer wären erlaubt derzeit.

"Ah, wir brauchen viel mehr. Also an den Wochenenden sitzen hier pro Vorstellung 3.000 Leute. Und das ist natürlich schon der Rahmen. Auch 500 wäre schon zu wenig. Das wär schon ab 1.000 dann interessant überhaupt. In der Größe in der wir halt auch immer schon gespielt haben."

Jana Mandana Krone, Zirkuschefin

Wochenalte Auflagen an denen sich hier nichts geändert hat. Eine Groteske. Und eine ungewohnte, nie dagewesene Situation nicht nur für die Artisten, sondern auch die Tiere.

"Ja, denen fehlt natürlich auch unser normaler Arbeitsalltag. Die werden genügend trainiert, die werden genügend bewegt, aber es ist einfach … die haben eine Routine, die sich auch jahrelang erlernt bei den Pferden. Es wird ja gelernt, dass man aufgeschirrt wird, dass man schön gemacht wird, dass man nochmal warm gemacht wird vor der Vorstellung. Es ist ja immer wieder … wie den Artisten auch, denen fehlt natürlich die Präsenz auf der Bühne sozusagen. Das ist schon positiver Adrenalin auch, der dann hochkommt bevor der Vorhang aufgeht. Und das ist bei den Tieren genauso. Auch die Pferde, die ich reite, die wissen genau bevor der Vorhang aufgeht, dass sie sich dann schön präsentieren und schon eine ganz andere Körperspannung haben, als wenn sie jetzt in der Box im Stall stehen. Und den ersten Monat sind ja unsere Tiere auch gewöhnt, wenn wir von der Sommertour zurückkommen, dass da ein bisserl Ruhe ist. Die kennen das schon. Aber so nach ein paar Wochen waren die schon: 'so was ist jetzt los? Warum ist hier jetzt nicht so viel Aktion?' Jetzt ist halt alles sehr etwas ruhiger. Und das ist schon auch eine Umstellung für die Pferde und für alle Tiere, und jetzt ist es natürlich alles so ein bisschen zäh."

Jana Mandana Krone, Zirkuschefin

Für Löhne und Tierfutter hat der Zirkus täglich Kosten in Höhe von 10.000 Euro und mehr. Und über 120 Tage ist jetzt schon zu, sagt Frank Keller der Pressesprecher und Manager des Privatunternehmens Krone:

"Freitag den 13. März war die letzte Vorstellung hier im Zirkus Krone Gebäude und auch auf Tournee. Denn wir hatten in diesem Jahr zum ersten Mal eine andere Situation, dass wir praktisch parallel gespielt haben. Wir waren auf Tournee mit dem Programm 'Mandana', Und parallel haben wir hier noch in München das dritte Programm der Winterspielzeit präsentiert. Und dann kam eben am Freitag den 13. die Nachricht: am nächsten Tag ist jetzt Schluss, wir dürfen nicht mehr spielen. Haben wir in Augsburg den Zirkus abgebaut, haben alle Artisten und Mitarbeiter, Tiere hierher nach München gebracht und dann mit allen Mitarbeitern und Artisten gesprochen und denen die Situation einfach erklärt und haben gesagt: 'So, ihr habt jetzt die Wahl. Wir können versuchen euch noch nach Hause zu bringen, sofern das geht, oder ihr könnt auch gerne hierbleiben.' Die meisten wollten natürlich nachhause zu ihren Familien, das ist ganz klar. Die mussten dann zurück - nach Rumänien und nach Bulgarien und nach Moldawien. Aber was viel schwieriger war, waren Artisten, die eben zurück nach Kiew, nach Moskau, nach Bogota mussten, nach Ulan-Bator in die Mongolei. Und dann hat man Flüge gebucht zu horrenden Preisen, und eine viertel Stunde später hat das Reisebüro wieder angerufen, hat gesagt: 'Die Flüge sind schon wieder gecancelt, wir müssen wieder was anderes suchen.' Ja dann musste man sich einfach neu sortieren."

Frank Keller, Pressesprecher Zirkus Krone

Neu sortieren müssen sich auch die bayerischen Schausteller, sagt Robert Eckl, erster Vorsitzender des Landesverbandes für die Schausteller und Marktkaufleute und selbst Leiter eines uralten Unternehmens:

"Ein Schausteller ist ein sehr stolzer Mensch und möchte seine Arbeit entlohnt haben und nicht irgendwo hingehen und Almosen empfangen. Wir wollen mit unserer Arbeit unser Leben finanzieren. Wir sind hochqualifizierte Menschen, die Betriebe und Mitarbeiter betreuen und Freude der Bevölkerung bringen. Wir haben ungefähr sechstausend Betriebe in Deutschland - das sind jetzt bloß die Schaustellerbetriebe. Dann gibt’s noch eine Menge von Marktkaufleuten, das kann man gar nicht abschätzen, die unwahrscheinlich viele Arbeitsplätze bringen - das geht in die Hunderttausende. Und der Wirtschaftsfaktor für Volksfeste darf nicht unterschätzt werden. Wir haben einen Wirtschaftsfaktor hier in München von ca. 1,2 Milliarden. Die Region lebt von den Volksfesten, weil wir auch regionale Betriebe bevorzugen. Wir holen unsere Wurst nicht irgendwo in Bremen oder was, sondern die wird vor Ort hier in München gekauft. Und genauso geht’s mit unseren Bäckern und allem Drum und Dran. Also die ganze Wirtschaft hier in Bayern, wir sind in Bayern und beziehen unser Zeug aus Bayern und wollen auch Bayern da hochhalten."

Robert Eckl, Vorsitzender des Landesverbands der Schausteller und Marktkaufleute

Bis 1. November soll jetzt einmal gar nichts mehr gehen. Schausteller wie die Kaisers haben immer mit dem Risiko gelebt.

"Wir wussten ja nie, wenn wir ein neues Geschäft angefangen haben, wie des ankommt. Man kann auf Papier und in Simulation alles so schön machen, wie man will und sieht gut aus. Aber letzten Endes entscheidet das Publikum, ob das Geschäft ankommt oder nicht. Und des is dann immer der Standpunkt, ob man schon die Investition gemacht hat. Und darum hat man immer das Risiko. Und das ham ma eigentlich unser ganzes Leben jetzt schon gehabt. Aber die Corona Sache jetzt, das wirft uns ja ganz aus dem Gleis."

Sigi Kaiser, Schausteller

Es ist ruhig geworden vielerorts. Und nicht nur auf dem Auer Dult Platz zu München. Keine Volksfeste. Kein Zirkus. Nirgends. Nirgends Stimmung.

Die Stimmung ist in der Regel dem Gesetz der eigenen Wahrnehmung unterworfen. Außer man fühlt sich wie verzaubert und kann träumen. Deshalb die Manege, wo das Schwere ganz leicht werden kann und vermeintlich Leichtes komisch schwer erscheinen darf.

"Stimmung. Zirkusmenschen haben immer eine gute Stimmung. Sie nehmen alles mit schwarzem Humor, wenn man will. Aber na ja, das geht weiter. Zirkus hat immer seine tiefen und hohen Punkte gehabt, durch Hunderte von Jahren. Und ich glaube, wir werden das auch überstehen. Wir kennen das. Es ist nur, es ist ein bisschen lang jetzt. Es ist Zeit, dass jetzt … wenn Riesendemos alle zusammenhocken kann, dann ich glaube, wir können in einem gemütlichen Zirkus auch ein bisschen zusammenhocken."

Nikolai Tovarich, Conferencier Zirkus Krone

Das Zusammenhocken egal ob in Zirkus- oder Kinosesseln oder auf Bierbänken - ein bisserl zusammenrücken bräuchten wir jetzt dringender denn je. Denn eine Gesellschaft braucht Gesellschaft, Gemeinschaft braucht gemeinsame Erlebnisse. Damit ma die Gaudi miteinand teilen kann, wenn’s wieder losgeht mit ihr. Weil ohne Gemeinsamkeit wird aus jeder Gemeinschaft ganz schnell eine Gemeinheit.


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