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Eine Frage der Balance Richtiges Gehen

Warum Menschen so früh schon Fußschmerzen haben können – ohne grundsätzliche Verletzung – liegt u.a. daran, dass viele Menschen permanent in ihr Smartphone schauen, gerade wenn sie unterwegs sind, also auch beim Gehen.

Von: Katharina Hübel

Stand: 22.08.2019

Ein Mann geht auf einem Holzsteg entlang. | Bild: picture-alliance.com

Die Menschen, die zu Thomas Rogall kommen, sind meist vierzig plus und haben sich eine ungünstige Art zu gehen angewöhnt. Manche sind aber auch erst zwanzig Jahre alt. Thomas Rogall leitet eine der wenigen Fußschulen, die es in Deutschland gibt. Er ist Physiotherapeut und seit 25 Jahren auf die Füße spezialisiert.

Armpendel ist essentiell

Die Folge: Ein Arm ist mindestens immer steif angewinkelt, die andere Hand wischt und tippt, der Blick ist nach unten gerichtet. Dann hat der Körper eine fürs Gehen nicht unterstützende Körperhaltung – denn es fehlt der so genannte "Armpendel", also das freie Schwingen der Arme beim Gehen. Und infolgedessen kann sich der Oberkörper nicht mehr frei drehen. Beim richtigen Gehen entsteht nämlich eine Spiraldrehung: Der Oberkörper und der Arm drehen sich immer entgegengesetzt zu Becken, Bein und Fuß.

Handtaschen blockieren

Sprich: Wenn der rechte Fuß nach vorne geht, folgt auch die rechte Hüfte, zeitgleich schwingt der linke Arm vor und damit ist dann der Oberkörper entgegengesetzt gedreht. Wird diese Bewegung blockiert, weil wir ein Smartphone in der Hand halten oder eine schräge Tasche umgehängt haben, kommt die Balance im Körper beim Gehen durcheinander.

"Bei sehr vielen unter 25-Jährigen sehen wir, dass sie keinen Armpendel mehr haben. Aber der Armpendel ist für das aufrechte Gehen auf zwei Füßen essentiell. In den Kulturen der Welt sehen wir: Müssen Menschen schwere Lasten über weite Strecken tragen, haben sie nichts in den Händen. Sie tragen die Last auf dem Kopf oder auch auf dem Rücken. In der westlichen Welt haben wir viele Handtaschen. Sie behindern aber die Schwingungsfähigkeit beim Gehen."

Thomas Rogall, Leiter der Fuß-Schule München

Aber auch der Asphalt, also die harten Böden, die überall in den Städten zu finden sind, belasten den Körper und seine Gelenke. Vor allem, wenn die Menschen dann noch zu große Schritte machen und hastig gehen.

Mach mal langsam!

Die Folge: Die Zehen werden bei jedem Schritt hochgezogen, es entsteht eine Überspannung in der Fußsohle und das Fußgewölbe wird so lange durchgedrückt, bis der Fuß sich sichtbar verformt. So können verschiedene Fußfehlformen, wie z.B. ein Knick-Senk-Spreizfuß entstehen. Ohne Gewölbe kann der Fuß jedoch nicht mehr stabil stehen. Ein Gewölbe balanciert den Fuß perfekt aus. Die Füße bei Fußproblemen "zu kräftigen" hält Thomas Rogall daher für den völlig falschen Ansatz. Es gehe vielmehr darum, eine gute Balance über dem Fußgewölbe zu finden und die Ausrichtung der Knochen zueinander wiederherzustellen.

"Der Fuß hat winzige feinmotorische Muskeln, die die Knochen des Fußes günstig positionieren. Sie können es mit der Hand vergleichen. Wenn Sie sich vorstellen, Sie würden Handstand üben und dies fällt Ihnen aufgrund mangelnder Balancefähigkeit schwer, dann würden Sie auch nicht auf die Idee kommen, dass Sie besonders kräftige Hände brauchen. Sie brauchen vielmehr eine gute Balance über der Hand. Wenn die Balance gut ist, dann hält der Fuß von selber. Das ist das Gewölbeprinzip. Das Gewölbe ist so konstruiert, dass es sich von selbst mit geringer muskulärer Spannung stabilisiert."

Thomas Rogall, Leiter der Fuß-Schule München

Daher warnt der Physiotherapeut auch vor vielen Übungen, die im Internet zur vermeintlichen Kräftigung der Füße kursieren.

Warnung vor Fersen- und Ballenstand

Geradezu kontraproduktiv findet er Übungen wie den Fersen- und Ballenstand oder mit den Zehen Zeitung zu zerreißen. Vor allem der Ballenstand trainiert genau die Bewegung weiter, von der Thomas Rogall seine Patienten gerne entwöhnen würde: das Durchdrücken des Fußgewölbes im Ballenbereich und die zu große Aktivität der Zehenmuskulatur.

"Mit der Übung Spitze-Hacke kräftigen Sie hauptsächlich die bereits überforderten und verspannten langen Zehenmuskeln des Unterschenkels und nicht die feine Gewölbemuskulatur des Fußes. Hinzu kommt, dass der Fuß zu einem großen Anteil aus Bindegewebe besteht. Das spreizen Sie mit dieser Übung und drücken außerdem Ihr Gewölbe durch. Das ist kontraproduktiv."

Thomas Rogall, Leiter der Fuß-Schule München

Er übt mit seinen Patienten die Gegenbewegung: die aufgrund mangelnder Balance verspannten Zehen beim Anheben des Fußes in Verlängerung des Fußrückens zu halten, in der Tendenz hängen sie also eher. Der entspannte Fuß sollte analog wie eine entspannte Hand mit ihrem Handgewölbe aussehen: Die Zehen zeigen sichelförmig nach unten.

Katzenpfötchen

Von jahrzehntelang eintrainierten Gangmustern wegzukommen, bedeutet erstmal, dass sich vieles im Körper ungewohnt anfühlt. Daher arbeitet Thomas Rogall gerne mit Vorstellungsbildern. Er sagt zu seinen Patienten beispielsweise, sie sollen sich vorstellen, dass sie wie auf Samtpfoten laufen und die Füße auch vergleichbar einer Katzenpfote anheben sollen.

Krallenzehen

Ist ein Fuß schlecht ausbalanciert, versuchen die Zehen sich einzukrallen, um den Fuß am Boden zu halten. Der Fuß wird dabei einseitig belastet, es folgen Schmerzen im Ballen oder in der Ferse, weil große Scherkräfte den Fuß verformen. Das Gewicht sollte gleichermaßen auf den Fersen wie auf den Ballen verteilt sein. Manche Füße kippeln permanent, wenn der Läufer beispielsweise beim Gehen in die Hüfte einsackt. Infolgedessen wackelt auch das Knie, es können auch dort Probleme entstehen.

Plantarfasziitis

Außerdem kann sich beim permanenten Hin- und Herwackeln des Fußes die Plantarfaszie entzünden, die über die komplette Fußsohle gespannt ist und im weiteren Verlauf über das Fersenbein mit der Achillessehne und dem Unterschenkel verknüpft ist. Vor allem an den Ansätzen der Faszien und Sehnen können Entzündungen und damit Schmerzen entstehen. Sie sind meist langwierig.

Falsches Bild: "Abrollen"

"Abrollen" hält Thomas Rogall für ein falsches (und auch gefährliches) Bild. Denn dann entsteht der Eindruck beim Läufer, er müsste die Ferse auf der hintersten Kante aufsetzen und eine möglichst große Rollbewegung über den ganzen Fuß vollziehen. Das Abrollen ist aber eher klein und die Aufsetzbewegung des Fußes auf dem Boden findet eher am Übergang von Ferse zu Mittelfuß statt.

Hüfte kreiert die Balance

Auch wenn in den Füßen Schmerzen auftreten, so ist meist das Balanceproblem woanders im Körper: in der Hüfte. "Balance ist die Zentrierung des Körpers über dem Hüftgelenk", so formuliert es Thomas Rogall:

"Die Balance ist nicht Aufgabe des Fußes, sondern Balance entsteht durch die günstige Ausrichtung des Beckens im Hüftgelenk. Beim Gehen müssen wir uns vor allem günstig im Hüftgelenk bewegen."

Thomas Rogall, Leiter der Fuß-Schule München

Die Wirbelsäule entwächst aus dem auf den Hüftgelenken sitzenden Becken. Ist im Becken eine falsche Grundlage für eine optimale Balance gelegt, weil es zum Beispiel schief steht, so balanciert sich auch die Wirbelsäule schief aus. Dasselbe passiert analog mit den Füßen. Sie folgen der Hüftbewegung.

Marylin-Monroe-Gang

Wie wir gehen, ist erlernt. Denn die Menschen kommen nicht mit der Fähigkeit zu gehen auf die Welt. Das heißt aber auch, dass wir uns bestimmte – auch sozial geprägte Muster – abschauen. Viele Frauen haben den so genannten "Marylin-Monroe-Gang". Das heißt: Sie lassen das Becken mehr oder weniger stark hin- und herwiegen und versuchen den Fuß unter die Körpermitte zu holen, wie auf einer Linie zu gehen, ein Fuß vor dem anderen, sprich: wie ein Top-Model. Dieser als sehr weiblich konnotierte Gang hat jedoch Fußschmerzen vorprogrammiert. Vor allem bedeutet er, dass viele Frauen irgendwann einen Hallux valgus entwickeln, also eine verzogene Großzehe.

"Der klassisch weibliche schwingende Gang ist ungünstig für die Stellung der Knochen, weil die Bewegung zur Seite geht. Dabei kippt der Fuß dann immer hin und her, je mehr der Körper über den Fuß nach außen schwingt. So verformt sich der Fuß. Wir erlaufen uns einen Hallux valgus. Es gibt keine genetischen Informationen in der DNA für die Bildung eines Hallux valgus."

Thomas Rogall, Leiter der Münchner Fußschule

John-Wayne-Gang

Das umgekehrte Prinzip findet sich bei der klassischen männlichen Gangart. Beim John-Wayne-Gang ist das Becken extrem steifgehalten und der ganze Körper kippt über den Fuß. Das heißt, auch hier fehlt die Spiralbewegung des Oberkörpers inklusive Armpendel.

"Beim John-Wayne-Gang schwankt der ganze Schultergürtel des Mannes wie beim Seemannsgang. Knieprobleme sind oft die typischen Folgen."

Thomas Rogall, Leiter der Münchner Fußschule

Der ausbalancierte Gang

Für den ausbalancierten Gang ist eine parallele Fußhaltung wichtig. Die Füße stehen hüftbreit auseinander und die Zehen zeigen nach vorne. Dadurch ist der Körperschwerpunkt günstig gelagert, die Muskulatur von Beinen und Becken kann gut koordiniert und ausgeglichen trainiert werden. Die Hüftknochen drehen mit Bein und Fuß beim Gehen leicht nach vorne oder hinten mit. Die Arme können frei schwingen und sind nicht von einer Tasche oder dem Halten eines Smartphones behindert. Der Oberkörper macht die entgegengesetzte Spiralbewegung, die Arme sind ein frei schwingendes Pendel, entgegengesetzt zum Fuß. Die Hüfte und der Schultergürtel weichen nicht zur Seite aus. Macht man alles richtig, so findet der Körper seine Balance. Der Fuß wird stabil belastet und kippt nicht nach außen oder innen.

Lockerlassen

Wichtig dabei: die Zehen lockerlassen. Lieber kürzere Schritte machen; Pausen machen für die Muskulatur; Fuß und Unterschenkel immer wieder lockern. Von einem Physiotherapeuten unter Umständen checken lassen, ob das Becken gerade ist und sich individuelle Übungen holen, mit denen man einen Schiefstand korrigieren kann. Es gibt auch Kurse zum richtigen Gehen, wer lieber in der Gruppe üben möchte.

Tipps fürs richtige Gehen

  • evtl. professioneller Becken-Check
  • Hüftknochen drehen beim Gehen mit Beinen und Füßen
  • Parallele Füße
  • Freier Oberkörper
  • keine schweren, schrägen Taschen
  • kein Smartphone in der Hand beim Gehen
  • auf Armpendel achten
  • auf Oberkörperdrehung achten
  • Becken, Beine und Füße rotieren gegensätzlich zum Oberkörper
  • lieber kleinere Schritte
  • kein hektisches Gehen
  • Zehen lockerlassen
  • wie mit Katzenpfoten gehen
  • sich von einer sexy Gangart verabschieden
  • spüren, wie entspannt der Körper ist

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