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Training fürs Hirn Rhetorik- und Debattierclubs als intellektuelle Fitnessstudios

Alle reden über den Populismus, und bei vielen wächst die Sehnsucht nach Schlagfertigkeit. In Rethorik- und Debattierclubs wird die Redekompetenz gestählt. Sie sind zu einer anspruchsvollen Freizeitbeschäftigung geworden.

Von: Carlo Schindhelm

Stand: 23.02.2019 | Archiv

Debattierclub an einer Universität | Bild: picture-alliance/dpa

Schon immer ging es in Parlamentsdebatten im Bayerischen Landtag mitunter hitzig zu. Manchmal ist der Grad schmal zwischen besten Argumenten und persönlichen Anfeindungen. Früh übt sich, wer die Grenzen der Debatte ausloten möchte. Denn letztlich geht es vor allem darum, die Zuhörer zu überzeugen und ihre Sympathien zu gewinnen.

Die Lust am Debattieren begann an deutschen Universitäten Anfang der 1990er-Jahre. Inzwischen gibt es über 70 Clubs im deutschsprachigen Raum. Der Bamberger Club trifft sich wöchentlich. 15 Frauen und Männer sitzen in einem Seminarraum. Auf den Tischen stehen Wasserflaschen. Die meisten halten einen Kugelschreiber und einen Zettel bereit – mehr braucht es nicht.

Sprachkraft, Auftreten, Kontaktfreudigkeit

Es ist jedes Mal wieder aufs neue ein Wettkampf um das schärfste Argument. Zu Beginn erklärt Gloria Kuppler nochmal die Regeln. Sie ist die Vizepräsidentin des Debattierclubs. Ein Beamer wirft die wichtigste Stichworte an die Wand. Ein angemessener Ton, Sprachkraft, Auftreten, Kontaktfreudigkeit, Urteilskraft und natürlich entsprechender Sachverstand sind wichtige Elemente einer guten Rede.

Damit es losgehen kann, braucht es noch ein Thema. Gloria hat ein paar Vorschläge mitgebracht und lässt abstimmen. Am Ende einigen sie sich auf das Thema Werbeverbot für Zigaretten. Politikstudent Oliver Steffens übernimmt die Rolle des parlamentarischen Präsidenten und leitet die Debatte. Er hat bereits Buchstaben mit Zahlen auf kleine Zettel geschrieben. Die zusammengefalteten Zettel hält er in seinen Händen und lässt jeden einmal ziehen.

Allgemeinbildung statt Internet

Das Los entscheidet, wer welche Rolle übernimmt – pro oder contra. Ein R auf dem Los steht für Regierung, ein O für Opposition und ein F für freie Rede. Der Bamberger Debattierclub stellt eine parlamentarische Debatte nach. Drei Redner bilden die Regierung, drei die Opposition – dann gibt es noch freie Redner. Sie repräsentieren die Zuschauer. Der Wettstreit beginnt.

Die Teams ziehen sich zunächst zurück. Sie haben eine Viertelstunde Vorbereitungszeit. Hilfsmittel wie Lexika oder ein Smartphone für eine Internetrecherche sind nicht erlaubt. Die Teilnehmer sind allein auf ihre Allgemeinbildung gestellt.

Toastmasters: in English, please

Teilnehmerin eines Rede-Wettbewerbs der internationalen Organisation "Toastmasters"

Gar nicht weit entfernt in der Bamberger Innenstadt treffen sich ebenfalls Redebegeisterte im Toastmastersclub. Das Ungewöhnliche: Sie halten ihre Reden in englischer Sprache. Der Abend beginnt mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Dann soll sich jeder dazu äußern, was für einen Namen er einer Hauskatze geben würde. Dann bittet eine Moderatorin um kurze spontane Reden. Zum Beispiel dazu, wo man in Bamberg gut einkaufen kann.

Schließlich kommen die vorbereiteten Reden dran. Eine junge Frau erklärt anhand eines detaillierten Diagramms die Entstehung von Kefir und Buttermilch. Tobias Müller erzählt von seinen Erfahrung auf dem Weg zum Unternehmer: "Then I decided well, how should you go about it, when not just – start. Just go and start. And that's what I did." Einfach anfangen – ist seine Botschaft. Dass die Clubsprache Englisch ist, stört ihn nicht – in seinem früheren Beruf war er im internationalen Vertrieb. Jetzt ist er Unternehmer und entwickelt Apps.

"Das spannende an Toastmaster ist, man trifft dort Leute, die sich weiter entwickeln wollen. Also Menschen die irgendwie weiter kommen wollen, als sie gerade sind."

Tobias Müller

"Wie oft in Gespräch in der Firma muss man einknicken, weil einem letztlich noch das letzte Argument noch fehlt oder weil man dann nicht die Courage hat das zu sagen – oder ich meine die besten Argumente fallen einem dann hinterher nach dem Meeting immer ein und es macht einfach einen Unterschied, wenn man seine Ideen klar und deutlich formulieren kann", findet eine andere Besucherin.

Lob, Kritik, Ähs

Alexandra Manger hat den Toastmasterclub in Bamberg erst Anfang dieses Jahres gegründet. Die Redekunst ist ihr gar nicht so wichtig, sagt sie selbst. "Ich war sehr lange im Ausland. Ich war erst in Dublin und dann in Südamerika." Aber als sie zurückkam, fehlte ihr die internationale Gemeinschaft. "Was könnte ich denn jetzt machen? Außerdem ich bin Übersetzerin für Englisch und da dachte ich auch: Mit wem spreche ich denn jetzt Englisch?"

Im Publikum sitzen auffällig viele Selbstständige oder Unternehmer. Menschen, die viele Jahre im Ausland gearbeitet haben oder planen, ins Ausland zu gehen. Am Ende jeder Rede tritt ein anderes Mitglied ans Rednerpult und gibt Feedback. Meist gibt es viel Lob – motivierende Worte, aber auch konstruktive Kritik. Und am Ende gibt ein Toastmasters-Mitglied bekannt, wie viele "Ähs" in jeder Rede vorkamen.

"Sie sind vielleicht besser mit der Kommunikation per E-Mail oder Telefon vertraut als mit der persönlichen. Es schüchtert Sie möglicherweise ein oder ängstigt Sie, zu großen oder kleinen Gruppen oder auch nur zu einer Person zu sprechen. Dennoch sind gute Kommunikationsfähigkeiten unabdingbar, wenn sie erfolgreich sein wollen."

Aus dem Arbeitsheft 'Kompetente Kommunikation' von Toastmasters International

Die gemeinnützige Organisation Toastmasters International wurde 1924 in den USA gegründet. Daher ist die Clubsprache traditionell Englisch. Inzwischen gibt es aber auch Vereine, in denen die Mitglieder ihre Reden auf Deutsch halten – in Nürnberg zum Beispiel. Dort treffen sich Mitglieder und interessierte Gäste einmal im Monat im Nachbarschaftshaus Gostenhof.

"Habe Ziele!"

Florian Lauer ist noch nicht lange dabei und hält heute seine erste Rede. In seinen Händen hält er einen Zettel mit Stichworten und einen Zollstock. Der Weg nach vorne ist für keinen leicht – die anderen machen Mut und applaudieren. Äußerlich wirkt der 20-Jährige in T-Shirt und Jeans gelassen, während er am spricht: "Ich möchte heute meine Eisbrecherrede halten. Mein Name ist Florian Lauer und ich wurde im Jahr 1996 wie jeder andere Mensch geboren. Der einzige Unterschied ist – wenn man mein Alter betrachtet, könnte ich von jedem zweiten hier im Raum der Sohnemann sein."

Ein fauler Hund sei er gewesen. Er habe einfach nicht verstanden, wozu er lernen soll, wenn es ihm doch gar keinen Spaß macht. Bis zur siebten Klasse. Da habe ihm sein Vater einen Zollstock vor die Nase gehalten. Florian Lauer hält den mitgebrachten Meterstab hoch. Die Zahlen darauf symbolisieren die Lebensjahre und dazu habe ihm sein Vater erklärt: "In den ersten 20 Jahren Deines Lebens – Schule plus Ausbildung – entscheidest Du, was Du später machen wirst. Und diese 20 Jahre wirst Du später entweder büßen 40 Jahre lang bis zu Deiner Rente oder, wenn Du in den 20 Jahren Gas gibst, dann wirst Du die 40 Jahre lang kein Müllmann sein, sondern im Büro sitzen oder der Chef von jemanden sein."

Er erzählt wie er schließlich von der Hauptschule auf die Realschule wechselte. Das er dort sogar Klassenbester wurde. Seine Botschaft: "Sei kein Normalverbraucher – habe Ziele!" Derzeit macht er eine Ausbildung, arbeitet gleichzeitig in einer Druckerei und interessiert sich für Aktienhandel. Nach seiner Rede bekommt er viel positive Kritik. Der Club-Präsident Christoph Beck kürt ihn zum festen Mitglied und steckt ihm den offiziellen Toastmaster International-Ansteckpin an. Die Anwesenden applaudieren.

Raus aus der Sicherheit, vor ans Pult

In den Toastmastersclubs wird auffallend viel und gerne geklatscht. Der Grund ist einfach. Es motiviert. Für viele gehört Mut dazu, aus der geschützten Position im Plenum herauszutreten und nach vorne zu laufen, erklärt Club-Präsident Beck: "Sich an das Pult zu stellen oder vielleicht auch das Pult wegzuschieben und komplett frei eine Rede zu halten."

Es darf ausprobiert werden, es dürfen Fehler gemacht werden. Der Club ist ein Trainingsraum für die Freie Rede. Florian Lauer will auf jeden Fall weiter machen. "Ich merke jetzt schon, wo ich jetzt nur ungefähr sieben Mal hier war – das ich jetzt mit Leuten viel einfacher und offener reden kann. Jetzt im Beruf oder auch im sozialen Umfeld. Das ist unglaublich: Sobald Du mal diese Hürde überwunden hast, nicht immer zu denken, was denken die anderen über mich, wenn ich da irgendwas sage oder irgendsowas, sondern einfach mal freundlich sein. Auf andere Leute zugehen offen reden mit denen – das bringt einen wirklich weiter."

Das Amt als Teil der Übung

"Es gehört ja auch eine gewisse Einstellung dazu, sich nach dem Feierabend noch mal ins Auto zu setzen und  hier her zu fahren", ist Club-Präsident Beck überzeugt. "Vielleicht vorher eine Rede vorzubereiten. Sich dann 90 Minuten, manchmal hundert Minuten hinzusetzen, andere Leute zu bewerten und zu hören. Selber sich was zu trauen. Sich selber weiterzuentwickeln."

Christoph Beck leitet den Vorstand ehrenamtlich. In dem Rhetorik-Club sind die Ämter gewissermaßen Teil der Übung. Denn wer in dem gemeinnützigen Verein ein Amt innehat, muss auch öfter Reden halten: Die anderen informieren oder motivieren, etwas zu tun. Der Mitgliedsbeitrag beträgt rund 50 Euro im Jahr. Hinzu kommt eine einmalige Aufnahmegebühr von 20 Euro. Dafür gibt es Arbeitsmaterialien. Die Arbeitshefte tragen Titel wie: "Kompetente Kommunikation" und "Kompetente Führung". Von dem Umschlag lächeln einem selbstbewusste Menschen entgegen.

"Sie wollen vielleicht zu den weltweit führenden Geschäftsleuten oder Politikern gehören oder Sie sind jemand, der gelegentlich eine Gruppe von Leuten zur Zusammenarbeit motivieren muss, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. In beiden Fällen werden die Projekte im Handbuch Kompetente Führung Ihnen Gelegenheit bieten, Ihre Führungsfähigkeiten aufzubauen, indem Sie in verschiedenen Rollen bei Toastmasters Clubtreffen dienen."

Aus dem Arbeitsheft 'Kompetente Führung' von Toastmasters International

Zurück in der Universität in Bamberg. Die Teams bereiten sich auf die Debatte vor. 15 Minuten haben sie Zeit. Das Thema: Die Regierung fordert eine Werbeverbot für Tabak. Das Regierungsteam berät mögliche Gegenargumente der Opposition und umgekehrt. Jeder macht sich auf einem Zettel Notizen für seine spätere Rede, mal akkurat und übersichtlich – mal chaotisch hingekritzelt.

Dann ist es soweit – Präsident Oliver Steffens bittet die Redner zurück in den Seminarraum. Der Psychologie-Student Frederik Hörnig ist als erster dran. Erlaubte Redezeit: sieben Minuten.

"Ja guten Abend zusammen. Wir wollen Tabakwerbung verbieten. Was ist Tabakwerbung? Wir wollen jede Form der Tabakwerbung verbieten. An der Litfaßsäule, im Fernsehen, im Radio, Schleichwerbung in Filmen. Und warum wollen wir das tun? Schauen wir mal an, wieviel Kosten der Tabakkonsum an unserer Gesellschaft an unseren Gesundheitssystemen verursacht, durch Arbeitsausfall, durch Krankheit: Es sind 80 Milliarden im Jahr, die direkt und indirekt der Tabakkonsum in Deutschland dieser Gesellschaft kostet (...)"

Bevor Gloria Kuppler für die Opposition ihre Rede beginnt, streicht sie ihre langen blonden Haare aus dem Gesicht und rückt ihren Spickzettel auf dem Tisch zurecht. Dann startet sie noch eine Stoppuhr auf ihrem Handy. So hat sie ihre begrenzte Redezeit im Blick. Ihr Konter:

"Bevor ich mit meinen eigenen Punkten anfange, möchte ich noch ganz kurz auf die Seite oder den Antrag der Regierung eingehen. Der ja auch nicht so wirklich ein Antrag war und wo viele Mechanismen noch fehlen, von denen ich hoffe, das sie in der zweiten Rede noch nachgereicht werden. Aber ganz allgemein: Was wurde gesagt? Es wurde gesagt, okay, dass es sehr hohe Kosten für die Gesellschaft äh verursacht. Und dann fragen wir uns, wie jetzt das Verbot dieser Werbung diese Kosten irgendwie geringer machen sollen. Dazu wurde uns noch nichts gesagt (...)"

Ein Hobby, das aneckt

Der Debattierclub an der Universität in Bamberg ist in dem bundesweiten Verband der Debattierclubs an Hochschulen organisiert. Immer wieder gibt es auch internationale Wettbewerbe, in denen sich Studenten miteinander messen. Gloria Kuppler hat schon an solchen Wettkämpfen teilgenommen.

Ihr Hobby kommt jedoch nicht bei allen gut an: "Zum einen: Die Redekultur ist glaube ich teilweise nicht so gerne gesehen. Also, dass man wirklich in der Lage ist, seine Meinung auszudrücken und dass man auch mal Kontra gibt. Das habe ich zumindest leider auch erfahren."

Selbst in ihrem Bekannten- und Freundeskreis sei sie mit ihrer Debattenfreudigkeit schon mal angeeckt. Vor allem weniger gute Bekannte seien oft überfordert, wenn man direkt mit einer starken Meinung kommt, sagt Gloria. "Wenn es um Themen geht, die einfach vielleicht ein bisschen sensibel sind oder ein bisschen schwierig, dann wird das einfach nicht gerne gesehen, wenn man da eine starke Meinung vertritt."

Das Ritual der Versöhnung

Am Ende von den Reden gibt es im Debattierclub keinen Applaus, aber – ganz akademisch – Klopfbeifall auf der Tischplatte. Präsident Oliver Steffens schließt die parlamentarische Debatte. Es folgt ein Ritual der Versöhnung: "Die Juroren werden sich jetzt zur Beratung zurückziehen. Ich bitte euch alle hinauszugehen und  euch die Hand zu geben. Euch zu dieser gelungenen Debatte zu gratulieren und wir rufen Euch dann rein, sobald die Ergebnisse fest stehen."

Die Studentinnen und Studenten geben sich die Hand. Ein Ritual, das ernst genommen wird, erklärt Teilnehmerin Leoni Mudra, für die der Debattierclub eine gute Möglichkeit ist, ihr mulmiges Gefühl beim Reden vor Publikum zu überwinden. Denn egal, wer wie welche Themen vertreten hat, "die haben jetzt auch grade nur eine Meinung vertreten, die sie halt gelost haben – deswegen ist das eigentlich nie so, das da nach irgendwelche Feindschaften entstehen, die man wieder zerschlagen müsste", sagt Leoni. "Das ist trotzdem alles mein Club und ich mag die eigentlich alle gerne."

Bewertung und Kritik

Bei ihren Beratungen ermittelt die Bamberger Jury die besten Redner unter der Leitung des Präsidenten nach einem festgelegten Regelwerk. Anschließend gibt es Kritik, auch Einzelkritik. 

"Generell hätten wir uns ein bisschen mehr Leben in der Debatte gewünscht. Bisschen mehr Kontaktfreudigkeit, bisschen mehr – also gerade auch das die Freien Redner das Publikum sind die man überzeugen muss. Das kam ein bisschen zu kurz", sagt Jurymitglied Bernadett.

Und Christoph: "Bei den Einzelrednern … fangen wir bei Freddy an: Du hattest eine sehr klare Sprache – mir hat es auch gefallen, das Du bestimmte Worte gut betont hast, wie zum Beispiel Suchtmittel hast Du ein ganz anderen Ton reingebracht. Ein Problem bei Dir war, das Du Deine Blätter in der Hand hattest und somit Deine Gestik halbiert hast, weil Du nur noch mit einer Hand arbeitest."

And the winner is ...

Es gewinnen die drei Rednerinnen der Opposition. Gloria freut das, aber "teilweise hat man es auch ein bisschen leichter, wenn man sich mit dem Thema schon auskennt." Es sei nun mal ein Wettkampf. "Jedes Mal geht man neu rein und versucht zu gewinnen." Die Regierung hat das Nachsehen. Frederik sieht es sportlich: "Ich meine wird sind ja nicht auf einem Turnier. Wir sind hier ja unter Freunden. Und von dem her geht’s da auch weniger drum jetzt zu gewinnen, sondern eben sich selber zu verbessern. Und ich glaube, da war das Feedback jetzt wirklich sehr gut."

Für den einen ist es die Lust am Wettstreit. Für den anderen geht es um die intellektuelle Herausforderung – Gedanken zu strukturieren – sich im Reden vor vielen Menschen zu üben. Schon nächste Woche Dienstag werden sich die Studenten wieder zum Debattieren treffen.


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