Bayern 2


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Zurück in die Vergangenheit Nach 25 Jahren wieder Urlaub mit den Eltern

Früher haben sie die Sonnencreme eingepackt, heute denkt unsere radioReisen-Autorin für ihre Eltern mit. Der erste gemeinsame Urlaub nach einer Ewigkeit: mit neuen Erlebnissen, einer Autopanne und einem Geständnis.

Von: Felicia Englmann

Stand: 13.06.2018

Blick von Dorf Tirol auf Schloss Tirol | Bild: BR/ Felicia Englman

Mit der Seilbahn geht es von Meran auf den Berg. Die Gondel schaukelt, alles freut sich. Wir gehen wandern, meine Eltern und ich. Beim letzten gemeinsamen Wanderurlaub waren die Eltern jünger als ich es heute bin - und ich war ein kleines Mädchen. Jetzt versuchen wir es wieder: zwei pensionierte Lehrer und ein Einzelkind aus dem eine Singlefrau geworden ist. Meine Eltern sind seit mehr als einem halben Jahrhundert zusammen. Ich habe manchmal das Gefühl, auch mit Mitte 40 noch nicht richtig irgendwo angekommen zu sein. Nach 25 Jahren mit den Eltern wieder an den Familien-Urlaubsort zu reisen ist ein Präsent, aber auch ein Experiment.

Zum 70. Geburtstag der Eltern: ein Familienurlaub wie früher

Vier Tage in Südtirol sind mein Geschenk an die Eltern zum 70. Geburtstag. Freunde haben mich darauf gebracht: Gib ihnen gemeinsame Zeit, keine Dinge. Ich habe alles gebucht und vorbereitet, habe die Eltern mit meinem Auto abgeholt und über den Brenner chauffiert. Die Skepsis fährt mit. Für die Tages-Wanderung zur Meraner-Hütte habe ich Brotzeit, Getränke, Sonnencreme, Regenschutz, ein Taschenmesser und ein Erste-Hilfe-Päckchen im Rucksack. Sie haben weniger dabei. Sie haben nicht nur keine Brotzeit im Rucksack, sondern auch nicht wirklich auf mich gehört und ihr Material nicht überprüft. Die Sohle von den Bergschuhen meiner Mutter ist fast ab. Mit Mullbinden aus dem Erste-Hilfe-Päckchen knote ich sie notdürftig an die Füße - und zurück geht's zum Lift und ins Tal. Das Thema Wandern wäre damit erledigt.

Erster Urlaub als Paar und als Familie: Südtirol

Meinen Eltern bedeutet Südtirol viel. Der Vater war schon in den 1960er-Jahren zum Bergsteigen dort. Er liebt die Berge. Nach Partschins bei Meran ging 1970 die Hochzeitsreise. In den Bergen verbrachten die Eltern Wander- und Ski-Urlaube als junges Paar und später als junge Familie mit ihrer kleinen Tochter - mir. Deshalb habe ich die Meraner Gegend für diese Reise ausgewählt. Abends sitzen wir auf dem Balkon unserer Pension beim Wein. Wir blicken über einen dichten, grünen Apfelgarten hinweg auf die kleine Stadt Meran unten im Tal.

Rollenwechsel: früher fuhr der Papa das Auto, heute die Tochter

Unseren letzten Familienurlaub haben wir in den USA verbracht - die einzige gemeinsame Fernreise. 25 Jahre ist das her. Jetzt, denken wir, sind wir reif genug, es nochmal zusammen zu versuchen. Erinnerungen, auch gemeinsame, finden wir an vielen Stellen. Die Wildvogel-Aufzuchtstation auf Schloss Tirol begeistert uns genauso wie die Falknerei, die wir bereits um 1980 besucht haben. Wir reisen in unsere gemeinsame Vergangenheit, ohne dass uns das bewusst wird, denn wir genießen den Moment. Südtirol ist nicht mehr so bieder wie früher, da sind wir uns beispielsweise einig. Früher ist mein Vater immer am Steuer gesessen und war auch der Herr über den Kassettenspieler. Heute fahre ich und mein Vater sitzt hinten. Und wir haben unterschiedliche Detail-Erinnerungen. Auch, wenn es um mein Lieblings-Hörspiel geht. Die "Drei Fragezeichen" liefen in Endlosschleife als Kassette im Auto. Für diese Reise habe ich eine Folge als Digitalversion gekauft und spiele sie als Überraschung ein.

Warum sind Reise-Erinnerungen so wenig vertrauenswürdig? Selbst, wenn man zusammen unterwegs war, sind sie nicht identisch. Vielleicht müssen wir sie regelmäßig gemeinsam überprüfen, abstauben, sortieren wie Souvenirs im Schrank.

Stimmung ist wie das Wetter: schwankend

Wie das Wetter in den Bergen ist auch die Stimmung bisweilen schwankend. Bei einem Spaziergang in der Mittagshitze gibt es Streit, weil sich meine Mutter darunter etwas anderes vorgestellt hatte. Sie hatte den Weg anders Erinnerung. Großes Gemaule. Wir kehren um. Aber, auch ein Vorteil wenn man älter ist: Ich muss nicht mehr so auf Harmonie schalten, dass es allen gut geht. Endlich bin ich alt genug, dass ich auch widerborstig sein kann, wie in ganz frühen Jahren, und das genieß ich auch.

Einzige Aufregung: das große Rücken-Tattoo der Tochter

Mein großes Rücken-Tattoo sorgt für Grummeln. Ich habe es meiner Mutter viele Jahre lang verschwiegen, weil ich weiß, dass sie keine Tattoos mag. Jetzt am Pool muss ich es zwar nicht beichten, aber zeigen. Ich erkläre, dass der riesige Totenkopf das Röntgenbild meines eigenen Schädels ist und welches Gemälde die Vorlage für die ausladenden Flügel war. Die Gründe und auch die für mich persönlich tiefe und vielschichtige Bedeutung dieses Bildes will ich nicht erklären. Auch nicht meinen Eltern. Unsere Reise zeigt, das sich unsere Rollen zwar verschieben, aber nie umkehren werden. Die Eltern sind heute entspannter als ich es bin. Sie haben schon so viel gesehen, dass ihnen das Neue gar nicht mehr so wichtig ist. Mir ist bis heute jeder Raum zu eng, ich sitze gefühlt immer auf gepackten Koffern, bin immer auf dem Sprung. Das ist wohl der größte Unterschied zwischen mir und meinen Eltern: Sie finden ihre Welt nicht klein, sondern schön. Damit leben sie glücklicher als ich.

Vier Tage sind vorüber. In den Trauttmannsdorffer Gärten genießen wir noch einmal die Natur. Hier gedeihen in geschützter Sonnenlage nicht nur einheimische Kräuter, Rosen und Apfelbäume, auch Oliven- und Zitrusbäume fühlen sich dort wohl. Seerosenteich, japanische Zierbäume, Lotos, Zypressen, hier haben die Gärtner echte Pracht versammelt und kreativ angelegt. Wir trinken auf der Schlossterrasse den letzten Südtiroler Espresso, bevor es nach Hause geht. Wir sind uns einig: die Tage waren einfach nur schön. Und meine Eltern fühlten sich 20 Jahre jünger, sagten sie. Und es war schön für sie, die Verantwortung abzugeben.

Fazit: gelungene Reise, weil sich alle wie Erwachsene benommen haben

Mit meinen Eltern zu verreisen hat funktioniert, weil wir uns - zumindest die meiste Zeit - alle drei zusammengerissen und wie Erwachsene verhalten haben. Wir haben es geschafft, dass es tatsächlich ums gemeinsame Erleben ging, weniger um konkrete Erlebnisse. Wir wollten wenig. Und was wir wollten, ist uns gelungen.

Reifenplatzer, Wanderwegstreit und Gewitter sind schon aus der Agenda gestrichen, bevor wir überhaupt auf dem Rückweg sind. Meine Eltern entscheiden sich, welche Erinnerungen sie mitnehmen. Sie reduzieren auf das, was Ihnen gut tut - wie bei der Wander-Ausrüstung oder dem Programm. Jeder von uns pflegt die Erinnerungen, die er sich aussucht. Ich werde das bedenken, falls wir wieder zusammen verreisen, vielleicht zum 75. Geburtstag der beiden.

Die Beiträge der Sendung

  • Zurück in die Vergangenheit: Nach 25 Jahren wieder Urlaub mit den Eltern in Südtirol. Von Felicia Englmann
  • Roma ebraica: Das jüdische Rom. Von Andreas Pehl
  • Ein Ausflug zu den radioReisen: BR-Hörerinnen und Hörer erzählen die Geschichte hinter ihrem Souvenier

Die Songs der Sendung:

  • Ganes: Moltina
  • Jovanotti: Piove

Moderation: Bärbel Wossagk


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