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Bayern genießen Reif - Bayern genießen im Oktober

Die Früchte reifen - und auch das Jahr. In der Oktoberausgabe von Bayern genießen gibt's reife Genüsse für jeden Geschmack.

Stand: 28.09.2020 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Reif"

Oberbayern: Reife Idee: Der Schinkenmann aus Eichstätt. Von Stephan Lina
Niederbayern: Reif geworden: Die Quitte in Niederbayern. Von Birgit Fürst
Oberpfalz: Reif in Reiflding: Ein kalter Ort an der Donau. Von Thomas Muggenthaler
Oberfranken: Langsam gereift: Zwetschgenbaames aus Oberfranken. Von Susanne Roßbach
Mittelfranken: Schnell gereift: Desinfektionsspray aus dem Whiskyfass. Von Tania Palamkote
Mainfranken: Platz zum Reifen: Schwammerln in Bayerns erstem Pilzschutzgebiet. Von Jochen Wobser
Schwaben: Reifer Käs: Aus einer Bauernkäserei bei Augsburg. Von Barbara Leinfelder

Ein Quittenhof in Niederbayern

Was macht man - zum Beispiel mit reifem Obst? Man erntet es. Und das tut man, indem man es greift, abreißt, abrupft. Die Wörter greifen, reif, reißen und rupfen gehen alle miteinander auf die uralte lautmalerische Wortwurzel rp- oder qrp- zurück, das eine riesige Wortfamilie gebildet hat. Die Wurzel steckt auch drin im lateinischen carpere, das ebenfalls greifen, pflücken bedeutet und von dem wiederum Wörter abstammen wie das Rauben,das Raffen, aber auch das Raufen, das nur im übertragenen Sinn eine Handgreiflichkeit ist, sondern unmittelbar mit der Raufe zusammenhängt, woraus das Vieh Gras und Heu rupft. Auch unser Wort Herbst stammt von carpere ab. Ursprünglich bedeutet Herbst Ernte, ganz ähnlich wie das heutige englische Wort harvest. Herbst ist Reife- und damit Erntezeit. Die Zeit, in der man sich die Früchte greifen kann. Feldfrüchte genauso wie das Obst, zu dessen ausgefalleneren Sorten die Quitte zählt, die im niederbayerischen Hüttenkofen bei Mengkofen eine besondere Heimat hat.
Übrigens die Quitte hat ihren Namen von ihrer antiken Bezeichnung Kydonischer Apfel genannt, nach der Stadt Kydonia auf Kreta, dem heutigen Chania. Mit einem Apfel aber hat sie nichts zu tun. Sie ist ein eigenständiges Kernobstgewächs aus der Familie der Rosengewächse.

Desinfektionsspray aus dem Whiskyfass

Die zweite Bedeutung von reif im Sinn von Ring, Radreifen hat mit der Reife, dem Zeitigwerden von Früchten nix zu tun. Früher hat man das Wort tatsächlich auch mit dem Umlaut ai geschrieben, weswegen es beispielsweise im Bairischen auch Roaf ausgesprochen wird. Wobei der heutige Wagenreifen ursprünglich einmal nicht aus Gummi, sondern aus Eisen war, ein eiserner Ring um das Gestell des Wagenrades. Ebenso wie der Fassreifen die hölzernen Dauben eines Fasses zusammenhält. Womit wir bei unserem nächsten Thema sind. In zweierlei Hinsicht: In der Nürnberger Altstadt nämlich wird nämlich in hölzernen, mittels Reifen zusammengehaltenen Whiskyfässern Desinfektionsmittel hergestellt. Und, wer es bisher nicht gewusst hat, auch Desinfektionsmittel muss, ebenso wie alkoholische Getränke, reifen - in der ersten Bedeutung des Wortes. Was in Nürnberg dabei herauskommt, ist ein Desinfektionsmittel, das man sogar bedenkenlos trinken könnte - auch wenn man kein amerikanischer Präsident ist…

Schinkenambiente in Eichstätt

Für reif im Sinn von fertig, ausgewachsen verwendet man in Bayern noch ein anderes Wort: zeitig. Reif ist etwas, dessen Zeit, dessen Erntezeit gekommen ist. Das gilt für alles im Leben. Menschen müssen genauso reifen wie Früchte oder Ideen. Alles braucht Zeit. Gut Ding will Weile haben sagt das Sprichwort. Nur unsere Zeit scheint eben gerade Zeit in hohem Maß zu entbehren - denn Zeit ist Geld. Und deshalb gilt im Umkehrschluss: Wer Geld machen will, darf keine Zeit verbrauchen. So versucht die Industrie Reifeprozesse abzukürzen. So werden nicht nur Früchte sondern auch viele andere Nahrungsmittel künstlich schnell gereift. Brotteig etwa bekommt keine Zeit mehr zum Reifen - und auf einmal entwickeln sonst gesunde Menschen allerlei Unverträglichkeiten auf das grundlegendste aller Grundnahrungsmittel. Nicht bloß Masthendl, die als überfleischige Riesenbabies geschlachtet werden, auch zahlreiche andere Nutztiere Masttiere werden in kürzester Zeit mit allerlei künstlichen Mitteln zu frühzeitiger Reife gebracht. Aber man schmeckt den Unterschied zur natürlichen Reife. Zum Beispiel bei Wurscht und Schinken. Wolfgang Speth aus der Nähe von Eichstätt macht es vor.

Zwetschgenbaames aus Oberfranken

Keine moderne Verfahrenstechnik kann die Zeit ersetzen, die gute Dinge brauchen. Weniger Reifezeit bedeuten so gut wie immer weniger Qualität. Wenn Schinken schmecken soll, müssen nicht nur die Tiere Zeit bekommen. Auch die Produkte, die daraus gemacht werden brauchen Zeit zum Reifen und das gelingt nur mithilfe von reifer Erfahrung, sprich Lebenszeit von Generationen. Das kostet Zeit und damit Geld. Nur so können echte Spezialitäten und keine billigen Nachahmungen davon entstehen. Um beim Schinken zu bleiben: Der Zwetschgenbaames ist eine traditionsreiche Spezialität aus dem Bamberger Land. Nein, keine Zwetschgenkuchen-Variante, sondern ein zarter Rinderschinken…

Die Käserei Maierhof bei Augsburg

Jede Reife birgt schon die Fäulnis, heißt es. Und da ist was dran. Leben entwickelt sich. Und nicht alles, was im eigentlichen Sinn reif ist, taugt noch zum Genuss. Früchte zum Beispiel müssen geerntet werden knapp bevor sie im eigentlichen Sinn reif sind, also zu Boden fallen. Ansonsten sind sie überreif. Und auch das Fleisch alter, geschlechtsreifer männlicher Tiere beispielsweise ist oft nur noch bedingt zum Genuss geeignet. Anders ist es mit den Erzeugnissen, die der Mensch aus pflanzlichen oder tierischen Produkten herstellt. Jeder, der Karl May gelesen hat, weiß das:

"Es gibt überhaupt nichts, was über Bärentatzen geht, Sie müssen aber längere Zeit liegen, bis sie den gehörigen Hautgout bekommen haben. Am delikatesten sind sie, wenn sie schon von Würmern durchbohrt sind."

Karl May

Das meint Sam Hawkens in Winnetou 1. Jedes Fleisch muss reifen, also abhängen. Groß in Mode ist jetzt wieder das Dry aged beef amerikanischer Art, das so lang hängen muss, bis es selbst vom Haken fällt. Wenn man so will, handelt es sich dabei um kontrolliertes Verrotten.

Ein ganz ähnlicher Vorgang wie beim Käse. Dessen Reifestadien sind nichts anderes als verschiedene Phasen der Fäulnis. Eine Camembert, der beim Anschneiden schon fast dahinfließt, ein samtiger Rotschmierkäs mit rassem Aroma, ein buttriger Weichkäs mit Bockshornklee - Lilo Peter aus Achsheim im Landkreis Augsburg kennt sie alle - und sie kann auch alle. Die Bäuerin vom Maierhof verarbeitet die Milch der eigenen 20 Kühe zu verschiedensten Weichkäsen - das A und O dabei: die Reife…

Pilzschutzgebiet Irtenberger Forst

Nicht nur Pflanzen, Tiere - und selbstverständlich Menschen - müssen reifen. Auch, wundern Sie sich nicht: Pilze. Aufgrund ihrer meist standorttreuen Lebensweise hat man sie lang zu den Pflanzen gezählt. Erst in den letzten Jahrzehnten ist die Einsicht gereift, dass Pilze weder zu den Pflanzen, noch den Tieren gehören, sondern ein eigenes, drittes großes Reich von Lebewesen bilden. In manchen ihrer Eigenschaften ähneln sie den Pflanzen aber sie betreiben keine Photosynthese, sondern ernähren sich, ähnlich wie Tiere von organischen Substanzen in ihrer Umgebung. Und die richtige Reife, sprich Erntezeit, von Speisepilzen ist die Zeit, bevor sie geschlechtsreif werden, also ihre Sporen abwerfen. Jetzt im Herbst allerdings ist die Zeit reif für die Pilzsaison. In den Wäldern sprießen die Pilze - und auch die Sammler sprießen wie Pilze aus dem Boden, zum Beispiel in den unterfränkischen Wäldern. Der Irtenberger Forst vor den Toren Würzburgs ist mit seinem Eichen-Hainbuchenwald für seine Vielfalt an Pilzarten bekannt ist. Allerdings ist dieses Areal weniger für die gedacht, die für die den eigenen Speiseplan sammeln, sondern für Pilzinteressierte und professionelle Mykologen. Denn im Irtenberger Forst gibt es das erste Pilzschutzgebiet Bayerns.

Übrigens hat der Rauhreif mit der Reife von Früchten ebenso wenig zu tun wie mit dem Radreifen. Der Rauhreif hängt mit dem Reiben zusammen. Der rauhe Eispelz auf Bäumen und anderen Gegenständen lässt sich bekanntlich mit den Fingern abreiben. Aber dieser Reif lässt sich hoffentlich noch ein bisserl Zeit, bevor er reift…


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