"Kleine Ukraine" Die Regensburger Ganghofersiedlung 1945-1949
Joseph Berlinger beschäftigt sich mit der Geschichte der Ganghofer-Siedlung in Regensburg, die nach dem 2. Weltkrieg ein amerikanisches Lager für "Displaced Persons" war. - Dort lebten ehemalige ukrainische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Vertriebene und Flüchtlinge, und zelebrierten in der bayerischen Diaspora ihre althergebrachte Kultur.
"Die haben hier in Regensburg 1945 bis 1949 ihre Würde wiedergefunden, weil sie nach dieser doch sehr langen Unterdrückung in der Sowjetunion - Hungerkatastrophe, und was alles damit zusammenhing - hier das erste Mal die Möglichkeit hatten, ihre Ukraine zu leben, so wie sie sich das vorstellten, so eine Art Utopie zu leben."
(Prof. Walter Koschmal, Universität Regensburg)
Die Ganghofersiedlung in Regensburg
Die Ukraine - Zankapfel aus Tradition
Die große Ukraine von heute ist ein Krisenherd. Der mächtige und gefräßige Nachbar Russland und der weit entfernte, noch mächtigere und noch gefräßigere Westen streiten sich darum, wer die größeren Stücke vom Kuchen bekommt. Die Propagandamaschine läuft auf beiden Seiten auf Hochtouren. Und es droht sogar ein neuer Kalter Krieg.
Ein Miniaturstaat namens "Himmel"
Da liegt es nahe, daran zu erinnern, dass es auch schon mal eine "kleine Ukraine" gab. Und zwar mitten in Bayern. In den Jahren 1945 bis 1949. Die "Ganghofersiedlung" am südlichen Stadtrand von Regensburg war zu dieser Zeit ein Provisorium. Ein Miniaturstaat mit eigener Schule, eigenem Theater, eigener Polizei und eigener Post. Und eigenem Namen: "Oselia". Das bedeutete "Himmel". Die von den Amerikanern ausgesiedelten Regensburger, meist ehemalige Messerschmittarbeiter im Dienste der Hitlerschen Aufrüstung, beschwerten sich über die neu angesiedelten "Flüchtlinge", auf deren Balkonen Hühner und Pferde gehalten würden. Die ukrainischen Neubürger, ehemalige Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Vertriebene, Flüchtlinge, zelebrierten in Bayern ihre althergebrachte Kultur. Und der eine oder die andere von ihnen ließ sich vom amerikanischen oder russischen Geheimdienst anwerben. Denn der Kalte Krieg warf schon seinen Schatten voraus.
"Es gab ja im Grunde genommen nur zwei Möglichkeiten: während des Zweiten Weltkrieges musste man sich zwischen den Sowjets und den Deutschen, den Nationalsozialisten, entscheiden. Das wird ihnen oft vorgeworfen, den Ukrainern, dass sie da mit den Nazis kollaborierten. Nur stehen sie immer zwischen zwei Fronten. Und dann war der Zweite Weltkrieg zu Ende, dann waren wieder zwei Fronten da: im Ost-West-Konflikt. Und da haben sie sich klammheimlich orientiert Richtung Amerika, zu der Großmacht, von der man sich eine freie Ukraine erhofft hat. Das war damals sehr utopisch, und hat sich erst in den 90er Jahren dann verwirklicht."
(Roman Smolorz, Historiker, Universität Regensburg)
"Wenn man ins Camp Ganghofersiedlung rein wollte, musste man durch ein von der Militärpolizei bewachtes Tor, das war a gated camp, machen wir uns nix vor. Mein Cousin hat mir erzählt: natürlich, die sind da drin beschäftigt worden, sie sind drin in die Schule gegangen, da gab es eine ukrainische Schule, ich hab sogar ein Zeugnis von ihm, das er damals bekommen hat."
(Alexander Rempter, besuchte als Kind zwischen 1945 und 49 oft seinen Cousin Anatol Rempter in der Ganghofersiedlung)
Dmytro Hrajworonskyj
Auch Dmytro Hrajworonskyj, "displaced person" number 823536, lebte in dieser "kleinen Ukraine". Auch er war einer der 5000 Insassen dieses Camps in Regensburg. Er hat später seiner Tochter Elisabeth, die in den USA geboren ist, nichts über seine Vergangenheit erzählt. Seine politische Haltung war ihr bis zu seinem Tod 1993 unbekannt. Nur eines hat sie aus seinen sparsamen Äußerungen herausgehört: dass er Anti-Rassist war. Ein Kollaborateur der Nazi-Besatzer in der Ukraine des Zweiten Weltkriegs scheint er wohl nicht gewesen zu sein. Aber ob der gelernte Maschinenbauingenieur ein Kommunist war oder ein Antikommunist, darüber hielt er sich seiner Tochter gegenüber stets bedeckt. Als 1949 Dmytro Hrajworonskyjs Emigration in die USA anstand, erhielt er eine Bescheinigung, dass er bei der amerikanischen Armee als Mechaniker tätig war.
Ivan Demjanjuk
Ebenfalls im Camp Ganghofersiedlung wohnte Ivan Demjanjuk. Er arbeitete als Lastwagenfahrer für die US-Truck Company 1049. - 2011 wurde er im Alter von 91 Jahren vom Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Sobibor in Tausenden von Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Als junger ukrainischer Soldat der Roten Armee war er nach seiner Gefangennahme durch die Nazis zu diesen übergelaufen. Wie so viele Ukrainer, die glaubten, Hitler sei im Vergleich zu Stalin das kleinere Übel und würde ihnen erlauben, einen eigenen ukrainischen Staat zu gründen.