Bayern 2

     

Bayerisches Feuilleton Leben in zwei Welten (2/2)

Peter, Else und Siegfried Rosenfeld | Bild: Hannah Cooper

Sonntag, 10.11.2013
20:05 bis 21:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Leben in zwei Welten - Else und Siegfried Rosenfeld
Geschichte eines jüdischen Paares in Deutschland und im Exil
2) "Ich musste es wagen" - Nazi-Deutschland überleben
Von Marita Krauss

Eine großbürgerliche Familie im Berlin der 20er Jahre: die Mutter promoviert, Fürsorgerin in einem Frauengefängnis, der Vater sozialdemokratischer Abgeordneter im preußischen Landtag und hoher Beamter im Justizministerium, drei Kinder, ein Häuschen am Stadtrand, ein großer Freundeskreis, sozial engagiert, viele gemeinsame Projekte. Von 1932 an ändert sich alles dramatisch: Der jüdische Sozialdemokrat Dr. Siegfried Rosenfeld wird zwangspensioniert. 1933 werden sozialdemokratische Freunde und Kollegen verhaftet und gefoltert. Die Rosenfelds weichen nach Bayern aus. Dort erleben sie, zunächst bei Reichenhall, dann in Icking und München die Stufen der Ausgrenzung und die Pogromnacht. Die Kinder emigrieren nach Argentinien und England. Mit einem Visum gelingt auch Siegfried Rosenfeld wenige Tage vor Kriegsausbruch noch die Flucht nach England. Seine Frau muss er allein zurücklassen – "die größte Schuld meines Lebens", wie er später in seinem Tagebuch vermerkt.
Von 1939 an lebt die Familie Rosenfeld in zwei Welten: Siegfried kämpft sich in England durch die Mühen des Exilalltags, gespiegelt in seinen Berichten über die Internierung auf der Isle of Man, in seinen Briefen an die Kinder, Else wird zur Chronistin des Untergangs der jüdischen Gemeinde in München. Seit 1941 eingesetzt als Wirtschaftsleiterin des Gettos für Juden in Berg am Laim, erlebt sie die Hilflosigkeit und das Entsetzen bei Deportationen, bis sie schließlich selbst auf der Deportationsliste steht. In letzter Minute kann sie bleiben. 1942 geht sie mit der Hilfe von Freundinnen in den Untergrund. Ohne gültige Papiere lebt sie versteckt zunächst in Berlin, immer in Furcht vor Entdeckung, dann in Freiburg. Die "arische“ Studienfreundin Eva bietet ihr in dieser Zeit seelischen Halt. Sie gehört wie Elses Berliner und Freiburger Quartiergeber zu den "stillen Helden“, die in der NS-Zeit nicht mitliefen und mitjubelten, sondern unter höchster eigener Gefährdung alle Handlungsspielräume nutzten. Am 20. April 1944, nach zwei Jahren der Illegalität, kann Else, unterstützt von Menschenschmugglern, in einem lebensgefährlichen Fußmarsch über die Schweizer Grenze entkommen.
Siegfried Rosenfeld hatte mit Deutschland, das er liebte, gebrochen; daran änderte auch das Wiedersehen mit Else nichts, die 1946 nach England kommen konnte. Ein Jahr später starb er, zermürbt vom Elend des Exils. Else hingegen kannte keine Vorbehalte gegenüber Deutschen. Seit den 50er Jahren lebte sie halb in England, halb in Deutschland.
Marita Krauss rekonstruiert ein Leben in zwei Welten aus unveröffentlichten Quellen: Siegfried Rosenfelds Tagebuch aus dem Exil, Else Rosenfelds Briefen aus dem Untergrund und ihren Originalton-Berichten für die BBC.

Hörkino zum Frühstück statt Frühstücksfernsehen

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