Bayern 2

     

radioTexte - Das offene Buch Chalid al-Chamissi: Ägypten literarisch

Im Taxi: Unterwegs in Kairo  | Bild:  Lenos

Sonntag, 08.01.2012
11:00 bis 11:30 Uhr

BAYERN 2

"Die Ehefrau eines Märtyrers spricht" – ein Monolog und Taxi-Szenen auf der Bühne der Stadt
Lesung mit Wiebke Puls und Rainer Bock

Aus dem arabischen Frühling ist ein frostiger Winter geworden. Libyens Zukunft ist fragil. Syrien und der Jemen stehen auf Messers Schneide. Tunesien wählte gemäßigt islamistisch. Und die Bilder aus Ägypten sind beunruhigend: Blutige Zusammenstöße auf dem Tahrir-Platz, Razzien sogar bei deutschen Stiftungen, Ergebnisse der ersten Wahletappen zugunsten der Muslimbruderschaft und der radikalen Islamisten, die Ägyptische Allianz aus Linken und Liberalen steht erst auf Platz drei der Wählergunst, und die Jugendlichen, die im Februar 2011 die Revolution ins Rollen brachten, spielen kaum eine Rolle mehr. – Zu den Demonstranten, die vor einem Jahr Präsident Mubarak zum Rücktritt zwangen, gehörte auch der fünfzigjährige Regisseur, Drehbuchautor und Schriftsteller Chalid al-Chamissi, ein Politologe, der bis zum Sturz des Regimes nie eine freie Wahl hatte, der sich für ein freiheitliches, demokratisches und ziviles System einsetzt und dem Ausgang der Wahlen am 13. Januar 2012 mit Sorge entgegensieht. Der Freudentaumel von damals ist der Ernüchterung und Depression von heute gewichen. Für "radioTexte - Das offene Buch", die Lesung am Sonntagvormittag, schreibt Chalid al-Chamissi vor dem Jahrestag der Revolution exklusiv eine Erzählung, in der sich die aktuelle Stimmung Ägyptens spiegelt. "Die Ehefrau eines Märtyrers spricht" ist der Monolog einer Ägypterin nach der Beerdigung ihres ermordeten Mannes. Eine reale Person, ein Scheich, der bei der Sitzblockade Ende Dezember 2011 erschossen wurde. Im Februar 2011 erschien auf Deutsch Chalid al-Chamissis Band "Im Taxi. Unterwegs in Kairo". Die 58 Episoden sind dem Leben gewidmet, das aus diesen Geschichten des Volkes spricht und das – so al-Chamissi beim Gespräch im Offenen Buch vor einem Jahr - eines Tages die menschliche Leere und das politische Vakuum überwinden könnte. Sie zeigen den Alltag als Straßentheater, das Taxi als Bühne, die Fahrer als Erzähler, sind poetische, verzweifelte, humorvolle Skizzen vom Leben in Ägypten. Aus all den verschiedenen Stimmen entsteht eine so anrührende wie komische Hommage an die "Kultur der Straße", ein Mosaik der Gesellschaft, ein Buch, das in der arabischen Welt zum Bestseller wurde. Rainer Bocks Lesung von zwei dieser Szenen führt auf die Straßen Kairos, als stünde man mittendrin. Mit seiner neuen Geschichte fürs Offene Buch schreibt Chalid al-Chamissi seine literarischen Beobachtungen im Kairo dieser Tage fort. Es liest: die Schauspielerin Wiebke Puls von den Münchner Kammerspielen.
Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche