Bayern 2

     

radioTexte am Dienstag Dagmar Nick: Eingefangene Schatten

Dagmar Nick | Bild: BR/Markus Konvalin

Dienstag, 18.05.2021
21:05 bis 22:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Hausierer, Hoflieferanten, Hofjuden: Dagmar Nick, die Grande Dame der deutschen Lyrik, erzählt die spannende Geschichte ihrer Vorfahren in Hamburg, Berlin und Breslau vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.

"Frage die vorigen Geschlechter und merke auf das, was ihre Väter erforscht haben, denn wir sind von gestern her und wissen nichts; unser Leben ist ein Schatten auf Erden." (Hiob 8,8). Es war nicht ihr Plan, ein Familienpanorama zu schildern, das zehn Generationen in sich vereint, sagt Dagmar Nick. Aber sie wollte Hiobs Motto beherzigen, das sie ihrem jüdischen Familienbuch "Eingefangene Schatten" vorangestellt hat, und die Nachgeborenen an ihre Herkunft erinnert. Dagmar Nick, 1926 als Tochter des berühmten Komponisten und Dirigenten Edmund Nick und der halbjüdischen Sängerin Käte Jaenicke in Breslau geboren, erzählt die wechselvolle und spannende Geschichte ihrer Vorfahren. Sie kamen aus Spanien, schlugen sich als Hausierer durch, machten als Hoflieferanten Karriere und finanzierten als Hofjuden manchen, merkwürdigen Traum einiger Herrscher. "Als Bankiers waren sie genial, als Heereslieferanten unverzichtbar, erfindungsreich, pünktlich", schreibt die Autorin und erinnert daran, dass genau diese Eigenschaften den Juden zum Verhängnis wurden. "In früheren Zeiten wurden Juden dort, wo man sie als Rivalen betrachtete, einfach ausgewiesen oder bei Massenaufständen der Einheimischen, die einen Sündenbock brauchten, zusammengeprügelt oder außer Landes gejagt", so Dagmar Nick, die über die Geschichte der Juden nachdenkt und gleichzeitig präzise Porträts ihrer prominenten Verwandten wie Sigismund Asch und Lina Morgenstern zeichnet. Die Schriftstellerin ist die Kusine des großen Historikers Franz Stern. Auf der Flucht vor der russischen Front kam Dagmar Nick 1943 nach Bayern. In München studierte sie Psychologie und Graphologie. 1945 veröffentlichte die erste Nummer der Münchner Neuen Zeitung ihr Gedicht "Flucht", das die damals 19-jährige Dichterin schlagartig berühmt machte. Seitdem hat sie lyrische Werke, Hörspiele und Erzählungen veröffentlicht und dafür den Eichendorff-Preis, den Tukan-Preis, den Bayerischen Verdienstorden und den Horst-Bienek-Preis für Lyrik erhalten. Dagmar Nick ist seit 1965 Mitglied des deutschen P.E.N.-Zentrums und seit 2005 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Am 30. Mai feiert sie ihren 95. Geburtstag.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags können wir die Sendung bis 18. Mai 2022 als kostenlosen Podcast anbieten.