Bayern 2

     

hör!spiel!art.mix Herz/Wahren: Desperados oder Hitler geht ins Kino

Filmstill "Desperados" | Bild: Privatsammlung Köln

Freitag, 09.11.2018
21:05 bis 22:30 Uhr

BAYERN 2

Desperados oder Hitler geht ins Kino
Von Rudolf Herz/Julia Wahren
Komposition: Michael Emanuel Bauer
Realisation: Julia Wahren/Rudolf Herz
BR 2018
Ursendung
Als Podcast verfügbar im Hörspiel Pool

Ein Hörspiel als künstlerisch-kritische Erkundung des verschollenen Propagandafilms Desperados
Veronika Süß im Gespräch mit Rudolf Herz (Bildender Künstler, Autor) und Julia Wahren (Musikerin, Performerin, Autorin)
BR 2018
Als Podcast verfügbar in der artmix.galerie

Ein Soldat sitzt im Kino. Er und seine Kameraden haben Freikarten für die Pressevorführung bekommen. Desperados, ein Stummfilm wie ein Schauermärchen, erzählt von den Machenschaften der "Spartacisten" - und von ihrem blutigen Ende. Das kann dem Soldaten nur recht sein. Er gehört zur Propaganda-Abteilung der Reichswehr. Sein Name: Adolf Hitler.
Mit dieser Hypothese haben die Münchner Künstler Rudolf Herz und Julia Wahren das Hörspiel "Desperados oder Hitler geht ins Kino" geschrieben: ein Spiel mit Fakten, Spekulation und Assoziation, historischem Diskurs und erfindungsreicher Suggestion.

Anarchisten unterwandern die Arbeiterschaft, rauben und entführen, schüren Aufstand - und am Ende werden sie von Arbeitern erschlagen: so der antibolschewistische Propagandafilm Desperados, 1919 in München gedreht. Finanziert wurde er von zwei Ministern der Regierung Eisner - sicher ohne dessen Wissen. Ein Verrat der sozialdemokratischen Führer an Revolution und Rätebewegung. Als der Film in die Kinos kommt, ist seine makabre Vision schon Geschichte: Die bayerische Räterepublik ist blutig niedergeschlagen. Moralisch diskreditiert auch. Der Film ist verschollen und war vergessen. Nun sind Stills, Treatment und Dokumente wieder da: ein Fund, der die Perspektive auf Revolution und Gegenrevolution in Bayern schärft.

Das Hörspiel umreißt die Handlung des Films, einer echten Räuberpistole. Es beleuchtet das Werk und seine Entstehung. Film stills werden per Audiodeskription vor dem inneren Auge des Zuhörers sichtbar. Im Dialog mit der Stimmkünstlerin Julia Wahren bespielt der Schlagzeuger Zoro Babel Metall, Werkzeuge, Maschinen; der Klang oszilliert zwischen Konkretion und Abstraktion - generiert aus Material, das zur Herstellung der Weltkriegs-Maschinerie gedient haben könnte. Musik des Münchner Komponisten Michael Emanuel Bauer für Stimme, Flöten, Akkordeon und Perkussion greift ebenso die historischen Sachverhalte wie die klangliche und geräuschhafte Qualität auf.

Mit "Desperados oder Hitler geht ins Kino" untersuchen Rudolf Herz und Julia Wahren die Rhetorik einer Propaganda, die Münchens Aufstieg zum "Mekka der Rechten" forcierte. Das Hörspiel spiegelt Recherche, Fakten und Spekulation und versinnlicht ein historisches Thema von großer Tragweite, reich an Bildern und freier Assoziation.

Julia Wahren (*1968) hat an der Musikhochschule Detmold studiert und ist Regisseurin und Performerin. Inszenierungen und Performances am Deutschen Theater in Göttingen und am E.T.A.-Hoffmann-Theater Bamberg, bei der Ruhr-Triennale Bochum, den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen sowie in München im Schwere Reiter, Hoch X Theater und Live Art, Cuvilliés-Theater und anderen. Mit ihrem transdisziplinär arbeitenden Label Sound Art & Drama gastiert sie international, so 2017 zusammen mit dem Ensemble Horizonte für zeitgenössische Musik in New York.

Rudolf Herz (*1954) studierte Kunst und Kunstgeschichte und war Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Ausstellungen im In- und Ausland, zuletzt "Odessa Biennale of Contemporary Art 2017" und "Flashes of the Future. Die Kunst der 68er oder die Macht der Ohnmächtigen", Ludwig Forum Aachen 2018. Herz hatte unter anderem eine Gastprofessur an der Gesamthochschule Kassel und lehrte an der Münchner Kunstakademie. Künstlerische Arbeiten, und bildhistorische Forschungen stehen bei ihm in engem Zusammenhang, so in "Lenin on Tour" von 2004 und "Marcel Duchamp - Le Mystère de Munich" mit Peter Otmann, Architekturmuseum München 2012. Sein Buch "München. Fotografie und Revolution 1918/19" mit Dirk Halfbrodt ist ein Standardwerk zur Münchner Revolution.