Bayern 2

     

Bayern - Land und Leute Sansibar ist anderswo

Alfred Andersch | Bild: picture-alliance/dpa

Sonntag, 02.02.2014
13:30 bis 14:00 Uhr

BAYERN 2

Sansibar ist anderswo
Wie Alfred Andersch auszog, das Fürchten zu lernen
Von Bernhard Setzwein
Als Podcast verfügbar bis 9.2.2014

Vier Jahre alt war Alfred Andersch, als er vom Balkon der elterlichen Wohnung in München-Neuhausen aus zusehen musste, wie Revolutionäre der Münchner Räterepublik zu ihrer Erschießung auf das Oberwiesenfeld abgeführt wurden. Schon damals war es vor allem eine Frage, die ihn nicht mehr losließ: Wie fühlt sich jemand, der einen anderen erschießen soll? Mit solchen Gewissensfragen konnte Andersch eigentlich nur in schärfsten Widerspruch zu den Nationalsozialisten geraten. Und das, wo doch sein Vater ein treuer Anhänger der braunen Bewegung war.
Nichtsdestotrotz schloss sich schon der Jugendliche konspirativ den Kommunisten an. Er wurde entdeckt, verhaftet und wurde - nach eigenem Bekunden - als einer der ersten Häftlinge überhaupt in das neu errichtete KZ Dachau gebracht. Allein der Reputation des Vaters als alter Kämpfer der Partei verdankte er es, dass man ihn noch einmal laufen ließ. Nicht ohne ihm zu drohen, nach einer erneuten Verhaftung würde er erschossen werden. Alfred Andersch lernte also das Fürchten. Heiratete dennoch kurz darauf eine "Halbjüdin", seine erste Ehefrau Angelika. Die Umstände der Scheidung acht Jahre später geben bis heute Anlass zu Spekulationen. In seinem Roman "Sansibar oder der letzte Grund" werden diese Erlebnisse 1957 jedenfalls ihren Niederschlag finden.
Andersch’ spätere literarischen Arbeiten, etwa die Schulgeschichte "Der Vater eines Mörders" über seine Zeit am Wittelsbacher Gymnasium, können jedoch zur Rekonstruktion der frühen Jahre des Autors nur bedingt dienen. Allerdings ist es hochspannend, sie mit der faktischen Quellenlage zu vergleichen. Dies tut Bernhard Setzwein in seiner Sendung zu Alfred Anderschs 100. Geburtstag, indem er aufzeigt, dass es dem Autor weniger um Details als um die Darstellung eines Entwicklungsprozesses ging. An dessen Ende stand im Juni 1944 die Desertion aus der deutschen Armee. Mit der literarischen Verarbeitung dieser Erfahrung in seinem Buch "Die Kirschen der Freiheit" löste Andersch acht Jahre später einen Skandal aus.