Bayern 2

     

Bayern - Land und Leute Eine bayerische Sinti-Familie nach 1945

Anna Reinhardt vor dem Nördlinger Rathaus | Bild: Ulrich Trebbin

Sonntag, 08.11.2015
13:30 bis 14:00 Uhr

BAYERN 2

"Die haben uns angeschaut wie Affen!"
Erfahrungen einer bayerischen Sinti-Familie nach 1945
Von Ulrich Trebbin
Als Podcast verfügbar

Die Nazis haben den "Zigeunern" ihren ganzen Besitz genommen und sie in Lager im besetzten Polen verschleppt. Die Überlebenden haben alles verloren: Haus oder Wohnwagen,  Hausstand, Schmuck, Musikinstrumente, Fotos und das gesamte Geld. Auch die Nördlinger Sinti-Familie Reinhardt fängt 1945 bei Null an. Zehn Jahre leben die Eltern mit ihren sechs Kindern in einer Barackensiedlung am Stadtrand. Mehrmals muss der Vater einen geplanten Hauskauf aufgeben, weil die Nachbarn einen Aufstand machen. Denn in der deutschen Gesellschaft gelten auch jetzt noch die alten Vorurteile: Zigeuner stehlen, sind schmutzig und asozial; manche bezeichnen sie sogar als eine Plage. Die Polizei schreckt auch vor Gewalt gegen sie nicht zurück. Von der Trauer um ihre Toten will die deutsche Gesellschaft nichts wissen.

Schikaniert und ausgegrenzt

Anna Reinhardt ist bei Kriegsende fünf Jahre alt. Als erstes schneidet sie ihrer neuen Puppe den Zopf ab, wie sie es im Lager erlebt hat. Sie weiß nicht, wie sie mit einer Puppe spielen soll. Es gibt keine Fröhlichkeit in ihr. Erst mit neun kommt sie in die Schule. Dort wird sie von Klosterschwestern und Lehrern schikaniert und ausgegrenzt. Sie hat Angst, fühlt sich nicht willkommen. Für Hausaufgaben lassen ihr die Arbeiten im Haushalt wenig Zeit. Nach vier Jahren ist ihre Schullaufbahn zu Ende. Einen Beruf kann sie nicht erlernen.

Jahrzehntelanges Warten auf Entschädigung

Unterdessen kämpft der Vater um Entschädigung und Wiedergutmachung für das unter den Nazis erlittene Unrecht. Doch darüber entscheiden jetzt dieselben Beamten, die sie vor 1945 als "Zigeuner" verfolgt haben. Die deutsche Politik und Justiz sind gegen sie. Bis lächerliche Summen ausgezahlt werden, vergehen Jahrzehnte.

Mit über 70 bricht Anna Reinhardt jetzt ihr Schweigen und wagt es, der deutschen Gesellschaft von ihren Erfahrungen zu erzählen.