Bayern 2

     

Bayerisches Feuilleton Sankt Martin in Bayern

Samstag, 07.11.2015
08:05 bis 09:00 Uhr

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BAYERN 2

Sankt Martin in Bayern
Kleiner Diskurs über das Teilen
Von Thomas Kernert
Als Podcast verfügbar
Wiederholung am Sonntag, 20.05 Uhr, Bayern 2

Der Heilige Martin ist ein sehr populärer Gottesmann in Bayern: In Freising gibt es alljährlich einen großen Sankt Martinszug, überall im Freistaat viele Sankt-Martins-Kirchen und in der Landeshauptstadt gar eine St.-Martin-Straße, in der niemand Geringerer als Franz Beckenbauer einst zum Fußballgott heranreifte. Grund dafür ist eine tief empfundene Hochachtung vor der Tradition des Teilens und dem gemeinsamen Konsum von Wirtschaftsgütern. Nur ein Beispiel von vielen: Noch um 1930 aß man in zahlreichen ländlichen Gegenden bei Tisch aus einer gemeinsamen Schüssel. Da der gemeinsame Konsum von Wirtschaftsgütern jedoch von einflussreichen Kreisen später jahrzehntelang als "Kommunismus" bezeichnet und als Todsünde gegeißelt wurde, blieb zur Feier besagter Tradition des Teilens nur das Sankt-Martins-Fest übrig.

In der Kaschmir-Gesellschaft sind Charity-Events der letzte Schrei

Nach einem Jahrhundert der turbokapitalistischen Selbstbefriedigung wächst heute allenthalben wieder klammheimlich eine Sehnsucht nach mehr Gemeinsamkeit. Galt noch vor kurzem der Egotrip als Idealform einer erfolgreichen Lebensführung, so scheint nun die Soziabilität - sprich: die Fähigkeit des einzelnen, sich als Teil einer Gemeinschaft zu begreifen - wieder hip zu werden. Ohne diese Soziabilität funktionieren weder Carsharing, noch soziale Netzwerke, noch das "liquid feedback" der Piratenpartei, noch jegliche Form von Nachhaltigkeit. Dass der kapitalistische Asozialismus nicht das Gelbe vom Ei ist, hat man mittlerweile sogar in der CSU kapiert. In der oberbayerischen Kaschmir-Gesellschaft sind Charity-Events der letzte Schrei.

Von turbokapitalistischer Raffgier zum selbstlosen Teilen?

Das moderne Bayern hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg überraschend schnell in den Turbokapitalismus eingefügt. Gelingt es ihm nun auch, sich wieder umzustellen? Die Chancen stehen nicht schlecht, denn Sankt Martin könnte als moralischer Wiederaufbauhelfer wertvolle Dienste leisten. Thomas Kernert gibt wertvolle Tipps für das Basteln von Laternen und das fachgerechte Zerschneiden von Wintermänteln.

Hörkino zum Frühstück statt Frühstücksfernsehen

Das Bayerische Feuilleton erzählt keine Geschichten, die schon 100 Mal erzählt wurden. Alle Spielarten von Geschichte hinter den Geschichten sind möglich. Wir nutzen die Chance für Spott, Scherz, Satire und Ironie. Uns interessieren Themen, in denen sich reale Ortschaften mit Literatur und Kunst verbinden. Wir schätzen Originale in der schönen neuen Medienwelt der "Unauffälligen". Wir bieten radiophone Geschichten mit Gedankenstoff und Spielraum für Gefühle. Als journalistisches Genre hat das Bayerische Feuilleton eine anspruchsvolle Tradition.