Bayern 2

     

Bayern - Land und Leute Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig"

Venedig im Nebel | Bild: picture-alliance/dpa

Sonntag, 23.09.2012
13:30 bis 14:00 Uhr

BAYERN 2

Eros und Cholera
Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig"
Von Ulrike Voswinckel

"Mit dem 'Tod in Venedig' ist es eine ganz komische Geschichte, insofern als sämtliche Einzelheiten der Erzählung, von dem Mann auf dem Friedhof angefangen, passiert und erlebt sind", berichtet Katia Mann in ihren ungeschriebenen Memoiren. "Wir fuhren mit dem Dampfer nach Venedig… Gleich am ersten Tag sahen wir diese polnische Familie … mit dem sehr reizenden, bildhübschen, etwa dreizehnjährigen Knaben, der meinem Mann sehr in die Augen stach. Er hatte sofort ein Faible für diesen Jungen, er gefiel ihm über die Maßen, und er hat ihn auch immer am Strand mit seinen Kameraden beobachtet. Er ist ihm nicht durch ganz Venedig nachgestiegen, das nicht, aber der Junge hat ihn fasziniert."
Auch die Cholera ist in Venedig ausgebrochen, aber da trennen sich die Wege von Thomas Mann und seinem Alter Ego Gustav von Aschenbach: Der Autor kehrt der kranken Stadt sofort den Rücken, während Aschenbach der obsessiven Liebe zu dem Jungen Tadzio verfällt und sein Schicksal mit dem der untergehenden Stadt verbindet. "Was galt ihm noch Kunst und Tugend gegenüber den Vorteilen des Chaos?" heißt es in der Novelle. Und Thomas Mann kommentierte später: "Wieder war mein Thema der verwüstende Einbruch der Leidenschaft, die Zerstörung eines scheinbar endgültig gemeisterten Lebens, das durch den 'fremden Gott', durch Eros-Dionysos entwürdigt und ins Absurde gestoßen wird."
Thomas Mann schrieb seine Novelle 1911/12 nach einer Venedig-Reise, auf der ihn seine Frau und Heinrich Mann begleiteten. Das Thema der Knabenliebe - wenn auch aus der Ferne – war damals prekär, aber Thomas Manns Befürchtungen der öffentlichen Ablehnung bewahrheiteten sich nicht. Von allen seinen Büchern bis dahin hatte es den "größten literarischen Widerhall", und auch der Film von Luchino Visconti 1971 hatte großen Erfolg. Als Visconti durchsetzen konnte, dass alle Musik dazu von Gustav Mahler, aus dessen 5. und 3. Symphonie sein sollte, geriet auch Mahlers Musik plötzlich wieder in das Zentrum des Interesses und erfuhr eine grandiose Wiederentdeckung.
Ein literaturhistorischer Exkurs von Ulrike Voswinckel.